Stadt Stuttgart und Bezirksbeirat kritisieren die Pläne für den Abstellbahnhof in Untertürkheim

Anwohner in Untertürkheim und Luginsland aufgepasst: Auf dem stillgelegten Güterbahnhof in Untertürkheim soll der Abstellbahnhof für Stuttgart 21 entstehen. Seit Mitte Mai sind im vierten Anlauf wieder Unterlagen für diesen Planfeststellungsabschnitt 1.6b ausgelegt und auf der Webseite des Regierungspräsidiums abrufbar (hier). Die Einwendefrist endet am 12.August 2019. Auf den Gleisen sollen die Züge zwischengeparkt, gewaschen und die Innenräume gereinigt werden. Daher sehen die Pläne auch eine Reinigungsanlagen der Züge  sowie andere Technikgebäude vor. Hier ein Übersichtsplan aus der Präsentation der Projektgesellschaft vom 9.April 2019:

Im Rahmen des laufenden Planfeststellungsverfahrens wurde auch die Stadt Stuttgart angehört. Letzten Dienstag haben Vertreter der Stadt Stuttgart in einer Sitzung des Untertürkheimer Bezirksbeirat ihre Kritikpunkte an der Planung vorgetragen. Die Kritik der Fachämter war gravierend, so dass der Bezirksbeirat Untertürkheim zu den Plänen der Bahn und der Qualität der Planunterlagen eine Stellungnahme (hier) und eine ergänzende Erklärung (hier) verfasst hat. In der Untertürkheimer Zeitung (hier) und (update 15.7.) der Neckarausgabe der beiden Stuttgarter Zeitungen (hier) ist ein lesenswerter Artikel hinter einer Bezahlschranke abrufbar.

Kritisiert wird u.a., dass in den ausgelegten Planunterlagen kein konkretes Betriebskonzept enthalten ist. Entsprechend ist die ausgelegte schalltechnische Untersuchung, d.h. die ermittelten Prognosen und Schutzmaßnahmen unzureichend. Der Bzirksbeirat schreibt dazu in seiner ergänzenden Stellungnahme: „Es fehlt in den Unterlagen die notwendige Darstellung eines Betriebskonzepts für den Abstell-und Wartungsbahnhof, das Funktionsabläufe, Zugverkehre, Anlagenbetriebe und Betriebszeiten nachvollziehbar darstellt. Für die Lärmvorsorge und bei der Berechnung der Höhe der Lärmbelastung ist es aber relevant, alle Arten von Fahrzeugen und Bremsvorgängen, Zuglängen und –zahlen, Geschwindigkeiten, Brücken, Schienenverläufe, Schallreflexion, Abstand von der Lärmquelle und Abschirmung sowie das Geländemodell als Parameter einfließen zu lassen. Der Bezirksbeirat Untertürkheim hält wegen des fehlenden Betriebskonzepts das zugrunde gelegte Datenmaterial nicht für aussagekräftig, so dass die Berechnung des Lärms die tatsächliche Realität nicht abbildet.“ Wir können dazu nur anmerken, dass unrealistische Lärmprognosen im Vorfeld der Genehmigungen für Stuttgart 21 systematisch waren.

In Frage gestellt wird von der Stadt und dem Bezirksbeirat auch die immissionsrechtliche Bewertung des geplanten Abstellbahnhofs. Die Untertürkheimer Zeitung schreibt dazu: „Dabei ernten die Pläne der Deutschen Bahn vor allem in Sachen Lärmschutz erheblichen Widerspruch. „Generell geht es darum, ob die Maßnahmen als wesentliche Änderungen in Form eines erheblichen baulichen Eingriffs gesehen werden, oder ob es sich um einen kompletten Umbau handelt, der einem Neubau gleichzusetzen ist“, erklärte Alberto Gutierrez vom Umweltamt der Stadt. Für die betroffenen Anwohner würde die Einstufung als Neubau bessere Schallschutzmaßnahmen auslösen. Der Unterschied in der Beurteilung würde auch dazu führen, dass damit die dem Grunde nach zu gewährenden Schallschutzmaßnahmen bis in die Stadtteile Flohberg und Gehrenwald reichen müssten, also weit über das im Gutachten ermittelte Maß hinaus, heißt es in der Stellungnahme der Stadt.“

Zudem wurden vorhandene Lärmquellen, z.B.  aus dem Straßenverkehr, in der  schalltechnischen Untersuchung nicht berücksichtigt. Der Bezirksbeirat Untertürkheim fordert daher „im Planfeststellungsverfahren eine Betroffenheitsanalyse für die Stadtteile Untertürkheim, Luginsland und Gehrenwald, die die einzelnen Lärmarten (Straßenverkehr, Schienenverkehr, Gewerbe und Industrie sowie Sportanlagen) darstellt, um Aussagen über die wirklichen Lärmbelastungen zu erhalten.“

Da sich der geplante Abstellbahnhof „fundamental von der Zweckbestimmung des Güterbahnhofs“ unterscheidet, hat sich der Bezirksbeirat  in seiner Stellungnahme für einen Anspruch auf Lärmvorsorge nach den strengeren Richtlinien des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, insbsondere die „Errichtung durchgehender Lärmschutzeinrichtungen“, ausgesprochen. Allerdings trifft in dieser Rechtsfrage nicht die Stadt Stuttgart, sondern das Eisenbahn-Bundesamt die Entscheidung.

In ihren Stellungnahmen greifen die Bezirksbeiräte nicht nur die Lärmbelastung in ihrem Stadtteil auf, sondern u.a. auch ökologische (Versorgung der Anwohner mit Frisch-und Kaltluft, unzureichende naturschutztechnische Ausgleichsmaßnahmen in Untertürkheim, Mineralwasserschutz auf dem Bahngelände, Entwässerung der Dolen in der Augsburgerstraße) und verkehrliche Aspekte (Anbindung des Abstellbahnhofs an das Straßenverkehrsnetz, Modernisierung und Sanierung der Untertürkheim durchquerenden Unterführungsbauwerke). Das Wohnen in unmittelbarer Nachbarschaft zum Abstellbahnhof und den zuführenden Schienensträngen soll weiterhin möglich sein.

Wie anfangs erwähnt ist dies der vierte Anlauf der Bahn für eine Genehmigung des Abstellbahnhofs in Untertürkheim. Der erste Entwurf wurde 2010 öffentlich ausgelegt und 2014 wegen der hohen Lärmbelastung wieder zurückgezogen. Anwohner kritisierten damals in ihren Einwendungen die mit dem 24-Stundenbetrieb verbundenen hohen Lärmwerte. 2012 untersagte die Stadt Stuttgart dem Infobündnis Zukunft Schiene eine nächtliche Lärmsimulation der Dezibelwerte, die die Bahn damals den Bewohnern mit dem Nachtbetrieb des Abstellbahnhofs dauerhaft zumuten wollte. Auch bei den 2014 überarbeiteten Plänen klemmte es am Lärmschutz. Der dritte Antrag 2016 ist an der geplanten Umsiedlung der Mauereidechsen in Esslingen gescheitert.

Auch im aktuellen Antrag muss die Bahn wegen der auf dem Untertürkheimer Gelände lebenden Eidechsen mit erheblichen Rechtsrisiken rechnen. Der Naturschutzbund (Nabu) hat ein langwieriges Klageverfahren angekündigt.

In den Stuttgarter Nachrichten (hier) war Mitte Mai folgende Einschätzung des NABU-Vorsitzenden zu lesen:  „Kleemann sagt der Bahn im Zweifelsfall einen langwierigen Rechtsweg bis vor den Europäischen Gerichtshof voraus: „Zwei Jahre sind da nichts.“ Beginnen könnte er nach der Entscheidung des Eisenbahn-Bundesamtes (Eba), mit der die Bahn für Mitte 2020 rechnet. Von Mitte 2021 an soll gebaut werden. Bei einem späteren Start wäre der Zeitplan für Stuttgart 21 (Inbetriebnahme Ende 2025) kaum zu halten. Kleemann hält ihn für illusorisch. „Ich nehme nicht an, dass S 21 vor 2028 in Betrieb gehen wird“, sagt er.“ Die Bahn erwägt daher laut der StN-Meldung einen Plan B, nämlich den provisorischen Betrieb von Bahnabstellflächen außerhalb Stuttgarts.

In diesem Sinne beantragt der Bezirksbeirat die Prüfung von Alternativen und schreibt in seiner Stellungnahme: „Ferner bittet der Bezirksbeirat um Stellungnahme, in welcher Weise die Leistungen des Abstell-und Wartungsbahnhofs auch außerhalb von Untertürkheim realisiert werden können. Es ist vorstellbar, dass ausschließlich die Schieneninfrastruktur des ehemaligen Güterbahnhofs für die Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit des Ringsystems zur Verfügung gestellt wird. Dieser Ansatz ohne zusätzliche Gebäude und Anlagen könnte artenschutz-, naturschutz-und immissionsschutzrechtliche Konflikte erheblich minimieren und trotzdem die beschriebene Leistungsfähigkeit des S21-Ringschlusses gewährleisten.“

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