Die Schutzauflagen aus der Planfeststellung sind bei S21 einzuhalten. Zum Beschluss des VG Stuttgart über die Nachtsprengungen in Untertürkheim

In einzelnen Medienberichten war bereits kurz davon die Rede, zuletzt in der Meldung der Stuttgarter Zeitung vom Dienstag (hier). Der Eilantrag einer Eigentümerin aus dem Untertürkheimer Lindenschulviertel, u.a. auch Mitglied des Netzwerks, vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart gegen die vorläufig bis zum 8.2. genehmigten Nachtsprengungen (22 bis 24 Uhr) wurde abgewiesen. Daher möchten wir über den Inhalt des Beschlusses des VG Stuttgart vom 25.01.2017 und die damit aus unserer Sicht verbundenen Konsequenzen für die Betroffenen berichten.

Das VG Stuttgart hat den Eilantrag aus rein formalen Gründen abgelehnt. Zur Begründung stützt sich das Gericht ausschließlich darauf, dass von der Eigentümerin ein hinreichendes Eilbedürfnis nicht glaubhaft gemacht sei.  Da der Vortrieb zum Zeitpunkt des Eilantrags noch mehr als 380 Meter entfernt war, sei bis zum 08.02.2017  mit einer Überschreitung des für den Nachtzeitraum relevanten Anhaltswerts der DIN 4150 Teil 2 für den Nachtzeitraum von KBFmax= 0,2 auf dem Grundstück nicht zu rechnen. Ob nach dem 08.02.2017 die nächtlichen Sprengungen infolge einer Verlängerung der Ausnahmegenehmigung des RP Freiburg weiterhin durchgeführt werden könnten, sei – so führt das Gericht aus – bisher unklar.

Andererseits ist die Entscheidung aber gleichwohl ein Erfolg für die betroffene Eigentümerin. Aus der Begründung des Beschlusses ergibt sich recht deutlich, dass das Verwaltungsgericht davon ausgeht, eine Überschreitung der Anhaltswerte der DIN 4150 Teil 2 bei Erschütterungen von den Nebenbestimmungen des Planfeststellungsbeschlusses nicht gedeckt sei.

Der Rechtsbeistand der Bahn hatte in seinem Schriftsatz noch argumentiert,  die Nebenbestimmung des Planfeststellungsbeschlusses mit der Einhaltung der Anhaltswerte der DIN bei den Sprengungen sei nicht „absolut und voraussetzungslos“ zu werten. Die Nebenbestimmung „verweist auf ihre Sicherstellung durch die Wahl geeigneter Sprengparameter.  Darin ist eingeschlossen, dass dann, wenn trotz Ausschöpfen der sprengtechnischen Möglichkeiten die Anhaltswerte nicht eingehalten werden können, die allgemeinen immissionsschutzrechtlichen Regeln gelten.“

Das Verwaltungsgericht Stuttgart geht hingegen von einem Planbefolgungsanspruch der Betroffenen aus, sprich die Einhaltung der der Bahn in den Nebenbestimmungen auferlegten Anhaltswerte der DIN 4150 Teil 2, die die Bahn als Vorhabenträger sicherzustellen habe. Dies hat sicherlich auch Signalwirkung für andere Planfeststellungsabschnitte bei Stuttgart 21, dass die Betroffenen auf die Schutzauflagen der Genehmigungen vertrauen dürfen. So führt das VG in seinem Beschluss auf Seite 5 aus:

Auf Seite 6 weist das Gericht daraufhin, dass die Wertüberschreitung als Indiz gewertet werden kann, dass die Erschütterungen das Maß des Zumutbaren überschreiten:

Ausdrücklich wird auf Seite 10 ausgeführt, bei einer Überschreitung dieser Anhaltswerte auf dem Grundstück der Eigentümerin „dürfte“ sich die Bahn veranlasst sehen, entsprechende Schutzmaßnahmen festzulegen. Eigentlich dürften diese deutlichen Hinweise des VGs genügen, das RP Freiburg und/oder das EBA davon abzuhalten, weitere nächtliche Sprengungen zuzulassen, die die Anhaltswerte der DIN 4150 Teil 2 überschreiten:

Aufgrund dieses VG-Beschlusses ist es verständlich, dass -wie von der StZ erwähnt- das EBA und das RP Freiburg derzeit noch die Verlängerung der Ausnahmegenehmigung für das nächtliche Sprengen zwischen 22 bis 24 Uhr prüfen.

Wobei man sagen muss, dass den Untertürkheimern beim Tunnelvortrieb unter ihren Kellern von nicht einmal 10 Metern nur die Wahl zwischen „Pest“ und „Cholera“ verbleibt. Statt der Sprengungen wird die Bahn voraussichtlich wieder schlafraubend meißeln. Und gegen diesen Lärm können sich die Betroffenen nicht gerichtlich zur Wehr setzen, da die Belastungen durch den sekundären Lärm beim Tunnelbau im Planfeststellungsbeschluss schlicht als wesentliches Problem übersehen wurden. Wir hatten darüber berichtet.  Allerdings wird die Bahn im Gegensatz zu den nächtlichen Sprengungen beim Meißelvortrieb wieder Ersatzwohnraum erstatten, Der Katalog der Schutzmaßnahmen, der im Schriftsatz an den VGH aufgezählt wird, ist umfangreicher als vielen Betroffenen bekannt, darunter auch die Kostenübernahme von Ferienwohnungen. Auf den Anwohnerveranstaltungen wurde dies von der Bahn nicht kommuniziert.

Ein echter Schutz der Anwohner wäre nur durch eine nächtliche Unterbrechung des Tunnelvortriebs zwischen 22 bis 6 Uhr gewährleistet. So wie die Bahn es auch beim Albabtiegstunnel unter dem Ulmer Kienlesberg realisierte. In Stuttgart hatte die Bahn bislang alle Forderungen nach Unterbrechung des 24-Stunden-Vortriebs mit dem generellen Hinweis auf tunnelbautechnische Sachzwänge abgelehnt. Jetzt scheitert es in Untertürkheim laut Projektsprecher an der „großen, geologischen Herausforderung“.

Update:

  • StZ: Bahn darf nur bis 22 Uhr sprengen
  • PM PSU: Bahn muss in Untertürkheim wieder meißeln. Landesamt verlängert Sprenggenehmigung bis 24 Uhr nicht
  • In der Pressemitteilung der Projektgesellschaft heißt es: „Weder bei der Bauinfo der Projektgesellschaft, noch bei der Bürgerbeauftragten der Landeshauptstadt Stuttgart, Alice Kaiser, und der Bezirksvorsteherin von Untertürkheim, Dagmar Wenzel, waren infolge von Sprengungen bis 24 Uhr Beschwerden von Bürgern eingegangen.“  Dies lässt jedoch außer Acht, dass der Tunnelvortrieb noch über 200 Meter von den Wohngebäuden des Lindenschulviertels entfernt ist. Ob die Anwohner tatsächlich die deutschlandweit einmaligen Nachtsprengungen  nur wenige Meter unter ihrem Haus und nur mit 6 Stunden Ruhezeit ohne ein Angebot auf Ersatzwohnraum klaglos hinnehmen werden, ist mehr als fraglich.
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