Anfang Februar kommen die Bahn und ihre Projektpartner zu einer Sondersitzung wegen der Risiken des Tunnelbaus im Anhydrit zusammen. Dies melden die beiden Stuttgarter Zeitungen (hier). Das vom Bahn-Aufsichtsrat beauftragte KPMG-Gutachten hatte auf die von der Bauherrin Bahn unterschätzten Risiken beim Tunnelbau im Anhydrit hingewiesen. Im Falle von quellenden Anydritgestein wäre nicht nur die Betriebstauglichkeit des unterirdischen Bahnknotens gefährdet. Die Gutachter schließen nicht aus, dass auch darüber liegende Gebäude beschädigt werden könnten. Wir hatten über die Risikoeinschätzung berichtet. Die Bahn verweist hingegen auf die langjährige Erfahrung und Forschungsarbeit ihres Tunnelbausachverständigen Prof. Dr. Walter Wittke (WBI). Dabei werden gerade beim Bau der beiden Tunnel unter dem Killesberg neue, in dieser Kombination noch nicht erprobte Sicherungstechniken eingesetzt. Quellprozesse können auch Jahre später einsetzten.
Doch Schäden an den Gebäuden sind beim Tunnelbau auch ohne Anhydrit-Vorkommen nicht ausgeschlossen. Die Netzwerke hatten daher eine Beweislastumkehr zugunsten der Eigentümer gefordert. Nicht der Eigentümer, sondern die Bahn solle nachweisen, dass eingetretene Schäden nicht durch den Tunnelvortrieb verursacht wurden. Den von der Projektgesellschaft mit Haus + Grund ausgehandelten Muster-Gestattungsvertrag hatten die Netzwerke auch mit Blick auf die Schadensregulierung, die nach dem eigentlichen Tunnelvortrieb auftreten, als nicht ausreichend kritisiert. Vertreter der Projektgesellschaft hatten in den Informationsveranstaltungen eine unbürokratische Haftung bei Schäden zumindest während der Zeit des Tunnelvortriebs zugesagt.
Dass die Schadensregulierung in der Praxis nicht so „unbürokratisch“ wie versprochen abläuft, erfahren mittlerweile einige Eigentümer bei Stuttgart 21. Für die Schadensregulierung ist die von der Projektgesellschaft beauftragte Versicherung zuständig. Dass deren Gutachter erst einmal die Verursachung durch den Tunnelbau abstreitet, muss beispielsweise eine Eigentümerin in Untertürkheim erleben. Nach dem Wassereinbruch beim Tunnelbau des Obertürkheimer Tunnels Ende August drang auch fünf Tage später Wasser in ihrem 200 Meter vom Tunnelvortrieb entfernten Keller ein. Die bei diesem relativ überschaubaren Schaden angefallenen Reperaturkosten von rund 30.000 Euro wurden bis heute nicht von der Versicherung erstattet, da der Gutachter keinen Zusammenhang zum S21-Tunnelbau erkennen kann. Der Keller war jedoch nach Aussage der Eigentümerin vorher trocken.
Über einen besonders krassen Fall berichtete diese Woche die Südwestpresse (hier) von Eigentümern an der Neubaustrecke, deren Wohnhaus 2014 in nur neun Meter vom Tunnelbau unterfahren wurde. Das Gebäude war daher starken Erschütterungen ausgesetzt. Die Eigentümer hatten vorher ihre Haus beweissichern lassen. Jetzt beklagen sie laut der SWP-Meldung Risse in den Wänden, verzogene Fenster und teils gesprungene Scheiben, herabgefallene Fliesen im Hausflur, die Senkung des Gebäudes, ein zerbrochenes Abwasserrohr und ein aus dem Gleichgewicht geratenen Dachstuhl. Doch der Gutachter der Bahn-Versicherung sieht keinen Zusammenhang zum Tunnelbau.
Die SWP schreibt: „Laut Gutachten ist aber jeder einzelne Schaden entweder auf üblichen Verschleiß, auf Unterhaltsmängel wie bei den Fenstern, auf Frost wie beim Abwasserrohr, auf Wind und Wetter wie beim Dachstuhl sowie vor allem auf falsches Baumaterial und falsche Bauweise zurückzuführen. Die Schäden seien zudem weitestgehend schon vorhanden gewesen, schreibt der Bausachverständige. Und: Die gemessenen Schwinggeschwindigkeiten durch die Bohrungen seien zu gering, um Schäden zu verursachen. Ganser zieht an seiner Zigarette. Ein Ingenieur habe den Schaden inoffiziell auf 200.000 Euro geschätzt, sagt er. „Klar, alles kommt nicht vom Tunnelbau. Aber das meiste ist in 2014 entstanden. Schon komisch.“