DB-Aufsichtsrat gibt Gutachten zur Kosten- und Terminsituation bei Stuttgart 21 in Auftrag. Doch wie belastbar sind die Zahlen?

Über die Aufsichtsratssitzung der DB AG wurde im Vorfeld in den Medien viel berichtet. Der vom Spiegel angekündigte  „Highnoon“, der Machtkampf in der Vorstandstage der Deutschen Bahn, hat sich insoweit bestätigt, als dass Vorstand Volker Kefer zum September 2017 den Konzern verlassen wird. Die erneute Bauzeitverlängerung und Kostenexplosion um rund 623 Millionen Euro für Stuttgart 21 und die Nichtinformation des Aufsichtsrates in der letzten Sitzung wird ihm zur Last gelegt. Darüberhinaus melden die Zeitungen, dass der Aufsichtsrat ein Gutachten zu Stuttgart 21 in Auftrag gegeben hat. So schreibt die Stuttgarter Zeitung (hier):

Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn will sich mit einem weiteren Gutachten Klarheit über die Probleme bei Stuttgart 21 verschaffen. Bis zur nächsten Sitzung im September solle der wirtschaftliche und technische Stand des Bauprojekts nochmals untersuchen werden, sagte Aufsichtsratmitglied Klaus-Dieter Hommel nach einer Sitzung des Kontrollgremiums am Mittwoch in Berlin. „Wir wollen keine weiteren Überraschungen bei den Kosten und beim Zeitplan erleben.“ So solle auch festgestellt werden, ob der bisherige Finanzierungsrahmen von 6,5 Milliarden Euro ausreicht.“

Doch dies ist keine neue Information. Bereits in der letzten Sitzung des Aufsichtsrates im März 2016 hieß es, dass ein Gutachten zu den Kosten und den Risiken bei Stuttgart 21 in Auftrag gegeben sei. Wir hatten anlässlich einer Meldung der Stuttgarter Zeitung darüber berichtet.

Manfred Leger, Geschäftsführender Vorstand der DB Projektgesellschaft, relativierte Anfang April dieses Gutachten in einem Interview (hier) mit der Stuttgarter Zeitung. Auf die Frage nach dem Gutachten, das der Aufsichtsrat zur Kosten- und Terminsituation in Auftrag gegeben habe, antwortete er: „Da müssen wir etwas gerade rücken. Die drei Geschäftsführer der Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm haben letzten Sommer beschlossen, dass wir die Kosten- und Terminsituation für uns selbst im Detail neu bewerten. Zuletzt war das 2012 gemacht worden. In den nächsten Tagen sind wir damit fertig. Was der Aufsichtsrat beschlossen hat, ist nicht eine neue Kostenbewertung, sondern unsere zu nehmen und testieren zu lassen.“

Wenn tatsächlich die Wirtschaftsprüfer die Berechnungen der Projektgesellschaft testieren, ist große Skepsis angesagt. Zu oft in der Geschichte des Projekts wurden von Wirtschaftsprüfern die Plausibilität über die Einhaltung des Kostenrahmens auf Basis der bahneigenen Berechnungen bestätigt. Man erinnere sich nur an die Schlichtung, in der der damalige Kostenrahmen von 4,5 Milliarden testiert wurde. Mehr dazu auf der projektkritischen Seite Wikireal.  

Auch die Testate der Wirtschaftsprüfer, die 2013 dem Aufsichtsrat vor seiner Entscheidung über den Weiterbau von Stuttgart trotz der Kostenexplosion von 6,8 Milliarden vorlagen, sind kritisch zu hinterfragen. Die Zeit berichtete in ihrem sehr lesenswerten Beitrag „Hohes Risiko“ von 23.Juli 2013  über das Zustandekommen und das Ergebnis dieser Wirtschaftsprüfung:

„Wie unabhängig diese „Plausibilitätsbegutachtung“ zu Stuttgart 21 war, ist allerdings fraglich. Aus dem Bericht der Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers (PwC), der der ZEIT vorliegt, geht hervor, dass sich das Gutachten lediglich „auf die von der DB AG zur Verfügung gestellten Unterlagen“ stützt. Ob die Angaben richtig oder vollständig sind, wurde gar nicht überprüft. Die Prüfer selbst sehen deshalb ein „höheres Risiko“, dass „wesentliche Fehler“ und „rechtswidrige Handlungen“ nicht aufgedeckt worden seien. Wie aussagekräftig ist aber ein Testat, das komplett von Dokumenten des zu überprüfenden Unternehmens abhängt und dem die Prüfer selbst nicht ganz trauen?“

Die Prüfer attestierten Stuttgart 21  ein hohes Kostenrisiko. Die Zeit schrieb: „Die Bahn hat mögliche Nachforderungen von Auftragnehmern, wie sie bei Großprojekten üblich sind, in ihrer Kalkulation nicht ausreichend berücksichtigt. Ohne umfassende Maßnahmen rechnen die Prüfer mit einem im Vergleich zum „Gesamtwertumfang erheblichen Nachtragsvolumen“, also mit einer weiteren Kostenexplosion.“

Man fragt sich, warum nicht damals bereits bei den Aufsichtsräten alle Alarmglocken geläutet hatten. Selbst bei einem „hochpolitisierten“ Großprojekt wie Stuttgart 21, von dem für die Bundeskanzlerin die „Zukunftsfähigkeit“ des Landes abhängt, gilt das strenge Aktienrecht. Zumal bereits damals die Projektpartner Stadt und Land jede Finanzierung von Mehrkosten über den Kostendeckel von 4,5 Milliarden Euro abgelehnt hatten.

Wie wenig sich die DB AG zur Kostensituation des Projekts in die Karten schauen lässt, hat der Bundesrechnungshof in seiner fast drei Jahren laufenden Prüfung erfahren. Überprüft wurde die von den Vertretern des Bundes im Aufsichtsrates der DB AG mitgetragene Entscheidung Stuttgart 21 trotz der Finanzierungslücke von mehr als 2 Milliarden Euro weiterzubauen.  Wir haben Anfang Mai in einem Beitrag über die kurz vor dem Abschluss stehende Prüfung auch über das Antwortschreiben des Bundesrechnungshofes an eine Parkschützerin berichtet. Daraus geht hervor, unter welchen erschwerten Bedingungen die Prüfung über die Kostensteigerungen bei Deutschlands teuersten Bauprojekt stattfand. So schreibt der Bundesrechnungshof in seinem achtseitigen Antwortschreiben vom 26.Februar 2016:

„Der Bundesrechnungshof musste den DB-internen Gründen für die Erhöhung des Finanzierungsrahmens in den beteiligten Bundesministerien und bei der DB AG selbst nachgehen…. Hinsichtlich der eingesehenen Unternehmensunterlagen unterliegt der Bundesrechnungshof der Verschwiegenheitspflicht nach § 395 AktG…. Darüberhinaus hat das MVI einige Unterlagen nach der Verschlusssachenanweisung des Bundes mit dem Vertraulichkeitsgrad „VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH“ eingestuft. Über diese Einstufung und diese Verpflichtung zur Verschwiegenheit darf sich der Bundesrechnungshof nicht hinweg setzen…

Die DB AG hat zur Beantwortung der Fragen, die auch nach Einsicht in die Unterlagen der zuständigen Bundesministerien offen geblieben waren, dem Bundesrechnungshof einen Datenraum an ihrem Hauptsitz in Berlin eingerichtet. Dort hat sie die zur Beantwortung notwendigen Unterlagen zur Einsichtnahme bereitgestellt. Da sie dem Bundesrechnungshof nicht erlaubte, Kopien der internen Unterlagen zu fertigen, mussten alle Erkenntnisse im Datenraum der DB AG selbst gewonnen werden. Nachfragen mussten sodann schriftlich gestellt werden. Tiefergehende Besprechungen fanden zu einigen Fragen statt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass alle Fragen – wie den zu den Prüfungs- und Erhebungsrechten erläutert – einen Zusammenhang mit der Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats der DB AG haben mussten. Dieses Erhebungsverfahren nahm längere Zeit in Anspruch…“.

Solange sich die DB AG unter Hinweis auf die Verschwiegenheitspflicht nach dem Aktienrecht verschanzen kann, Dateneinsicht nur in einem streng abgeschirmten Datenraum zulässt und die Gutachter auf Plausibilitätsprüfungen beschränkt sind, haben diese Gutachten nur eine geringe Halbwertszeit. Die Kostenexplosion bei Stuttgart 21 (Chronologie des SWR) zeigt, dass die Berechnungen in immer kürzer werdenden Zeiträumen überholt sind. Wie der Landesverkehrsminister Hermann im oben verlinkten StZ-Bericht darauf hinweist, reicht es auch nicht aus, die Vorstände auszutauschen. So wird er in der StZ zitiert: „Wichtig ist es, dass endlich umfassende Transparenz und Offenheit über den weiteren Zeitplan und die Kostenentwicklung hergestellt wird“. Der Fehler liegt im System. Und dass ein Minipuffer von 15 Millionen bei einem noch mindestens sieben Jahre dauernden Großprojekt ausreichend ist, ist auch für Laien fern jeder Baurealität von Großbauprojekten.

Weitere Mehrkosten in Milliardenhöhe durch erneute Planänderungen und Nachträge der Baufirmen drohen. Von den zusätzlichen Mehrkosten, die Befürwortern des Projekts für die Nachbesserung der Leistungsfähigkeit des geplanten unterirdischen Bahnknotens jetzt fordern, einmal abgesehen. Der SWR hinterfragte gestern in einem Beitrag „Wie zukunfsfähig ist das Zukunftsprojekt? und kam darin zum Schluss: „Die Kritik, dass Stuttgart 21 unterdimensioniert ist, gibt es schon lange, die Gegner hatten sie stets vorgebracht. Bemerkenswert ist nun, dass ausgewiesene Befürworter des Projekts jetzt Nachbesserungen am Projekt fordern. Das Fazit: Wenn Stuttgart 21 wirklich ein Zukunftsprojekt sein soll, dann müsste man – folgt man den Verkehrsexperten – noch deutlich mehr Geld als die ohnehin schon veranschlagten 6,5 Milliarden Euro investieren.“

Das Handelsblatt titulierte Anfang Juni Stuttgart 21 als „BER des Südens“. Das Versagen der Verantwortlichen beim Bau des Berliner BER listet jetzt der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses auf  (StN). Für Stuttgart 21 ist ein Bruchteil gebaut und die kalkulierten Kosten liegen über dem des BER.

Von daher könnte die Zeit in ihrem Resümee des Artikels aus dem Jahr 2013 richtig liegen: „Stuttgart 21 läuft also nicht nur finanziell und technisch aus dem Ruder, es könnte auch ein ewiger Streitfall vor Gericht werden. Und die größte Blamage in der deutschen Baugeschichte“.

Weitere Links zu ausgewählten heutigen Meldungen:

Stuttgarter Zeitung: Steht Stuttgart 21 auf der Kippe? / S21-Kritiker sprechen von „Eingeständnis des Scheiterns“ / Deutschlandradio: Stuttgart 21 und die Kosten“Der Aufsichtsrat hat seine Chance verspielt“. Winfried Hermann im Gespräch mit Nana Brink / Deutschlandradio Kultur: Stuttgart21 soll teurer werden und später fertig sein / FAZ: Ein Abgang, der Fragen aufwirft / Badische Zeitung: Leitartikel: Vermächtnis der Versäumnisse / Stuttgarter Zeitung: Bahn setzt S-21-Partner unter Druck

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