Mehr als 3.500 Grundstückseigentümer sind von den 59 Tunnelkilometer für Stuttgart 21 im Stadtgebiet betroffen. Für die meisten ist die Enteignung und Entschädigung bei den Unterfahrrechten für Stuttgart 21 völlig unbefriedigend. Vertreter der Netzwerke waren dazu mehrfach mit dem Vorstand der Projektgesellschaft im Gespräch. Auch Brigitte Lösch, Landtagsvizepräsidentin und Abgeordnete, hatte sich in einem Schreiben (hier) wegen den betroffenen Eigentümern ihres Wahlkreises an Projektchef Manfred Leger gewandt. Unter anderem hatte MdL Brigitte Lösch nachgehakt, warum die Entschädigung der Eigentümer für die Unterfahrung der Grundstücke nicht entsprechend § 9 Abs. 1 Landesenteignungsgesetzes BW nach dem Verkehrswert, sondern nur nach dem niedrigeren Bodenrichtwert bemessen werde. Über die Pressemitteilung von MdL Brigitte Lösch zum ausführlichen Antwortschreiben von Projektchef Manfred Leger (hier), hatten wir ebenfalls berichtet.
Prof. Dr. Uwe Dreiss, Netzwerk Kernerviertel, hat sich jetzt in einem Memorandum mit den darin aufgeführten Argumenten der Projektgesellschaft zur Enteignung und Entschädigung bei den Unterfahrrechten für Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Stuttgart-Ulm auseinander gesetzt. Lesen Sie hier. Dieses Memorandum ist allerdings keine Rechtsberatung; es dient nur zur allgemeinen Information. Prof. Dr. Uwe Dreiss kommt in seiner juristischen Stellungnahme, die auch an den Vorstand der Projektgesellschaft ging, zu folgenden rechtlichen Bewertungen:
- Boden-/Verkehrswertes eines Grundstücks: Bei den Entschädigungen für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Stuttgart-Ulm geht die Bahn nur vom Bodenwert eines Grundstücks aus. Das darauf gebaute Gebäude wird nicht berücksichtigt. Dies steht im Widerspruch zum Landesenteignungsgesetz Baden-Württemberg, das ausdrücklich vom Verkehrswert eines Grundstücks spricht. Der im Antwortschreiben von Manfred Leger zitierte juristische Kommentar interpretiert die Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Landgerichtes (LG) Bielefeld nur unzureichend. Denn auch sie berücksichtigen grundsätzlich einen Verkehrswert einschließlich dem vorhandenen Gebäude. Als praktische Konsequenz ergibt sich daraus, dass vom Verkehrswert für Grundstück und Gebäude auszugehen ist. Allerdings muss es für eine Wertminderung des Gebäudeanteils „hinreichende Schätzungsgrundlagen„, wie beispielsweise zu erwartende dauerhafte Mieteinbußen durch Lärm und Erschütterung des Bahnbetriebs, geben.
- Entschädigung nach den DIA-Gutachten: Die beiden DIA-Gutachten, auf deren Grundlage die Bahn in der Praxis die Entschädigungen festsetzt, berücksichtigen nicht die Vorgaben dess Landesenteignungsgesetz BW. Das gilt auch für die in diesen Gutachten mehrfach verwendeten Abstaffelungen nach dem Bodenwert, dem Bodenrichtwert und den Tiefenlagen der Tunnel. Diese Abstaffelungen ergeben sich weder aus dem Landesenteignungsgesetz noch aus den in den DIA-Gutachten zitierten Entscheidungen des BGH und des LG Bielefeld. Es bestehen daher erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der in dieser Gutachten angegebenen Verfahren zur Berechnung der Entschädigung von Bahnunterfahrungsdienstbarkeiten. Es fehlt an einer gesetzlichen Grundlage, die Art und Ausmaß der Entschädigung regelt.
- Vorzeitige Besitzeinweisung: Die vorzeitige Besitzeinweisung nach § 21 des Allgemeinen Eisenbahngesetztes verstößt gegen Art. 14 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz, da sie eine Enteignung zum Gegenstand hat, für die es an einer Regelung von Art und Ausmaß der Entschädigung durch Gesetz fehlt.