Zum StN-Bericht über Entschädigung wegen Baulärms bei Stuttgart 21

Die beiden Stuttgarter Zeitungen berichten heute in ihrem Innenstadtteil (hier), dass Bahnvertreter beim jüngsten Treffen des Infoladens darauf hingewiesen hätten, dass Entschädigungen für Balkone, Wintergärten und Terassen, die wegen des Baulärms durch Stuttgart 21 nicht genutzt werden können, möglich seien. Vorraussetzung für die Entschädigung sei der Anspruch auf passiven Schallschutz eines Eigentümers, d.h. die Lärmprognosen der Detailgutachten müssen bei den geplanten Bauarbeiten mindestens zwei Monate eine Überschreitung der AVV-Richtwerte (hier) um mindestens 5 dB(A) prognostizieren. Um die Entschädigungen zu erhalten, müssen sich die Eigentümer – so der Artikel – an die Bahn wenden.

Wir haben bereits mehrfach berichtet (hier) , dass nach den Planfeststellungsbescheiden (PFBs) nicht die Bahn, sondern das Eisenbahn-Bundesamt (EBA)  rechtzeitig vor Baubeginn auf Basis der umfassenden schalltechnischen Detailgutachten über die konkreten Schutzmaß-nahmen entscheiden.   Dazu ein Zitat aus dem PFB 1.1. S. 45: „Nr.3.3.6. Die Entscheidung über die konkreten Schutzmaßnahmen behält sich das Eisenbahn-Bundesamt auf Grundlage der Detailgutachten gemäß § 74 Abs. 3 VwVfG vor.“ Dabei müsste das EBA die aktuelle Rechtssprechung beachten, nach der der Aufschlag von 5 dB(A) und die 2 Monatsfrist rechtlich nicht zulässig ist. Auch die Festsetzung der Entschädigungen fällt in die Zuständigkeit des EBAs.  Doch auch hier entscheidet statt dem EBA in einem ergänzenden formellen Verfahren „hemdsärmlig“ die Bahn selbst.

Aus dem Artikel geht hervor, dass die Bahnvertreter nur auf die Entschädigungen wegen der nicht nutzbaren Außenbereiche hingewiesen haben. Dabei sehen beispielsweise die PFB 1.1. bzw. 1.2. für die jahrelangen belastenden Bauarbeiten rund um den „Tiefbahnhof“ weitere Entschädigungsgründe vor. Ähnlich lautende Regelungen findet man auch im PFB 1.5.(z.B. S.294ff) und zum Teil auch im PFB 1.6a (z.B. S.238ff). Wir können hier keine Rechtsberatung geben, möchten aber kurz auf die in den PFB 1.1. und PFB 1.2. angesprochenen Fallkonstellationen hinweisen. Auszüge zu Entschädigungen aus diesen beiden PFBs finden Sie in unserem Handout (hier) auf Seite 8f:

1. Entschädigungen für die während des Baulärms nicht nutzbaren Außenbereiche (Terasse, Balkon, Wintergarten). Die Bemessung der Entschädigungshöhe soll entsprechend der Vorgaben der Richtlinien für den Verkehrslärmschutz an Bundesfernstraßen (Verkehrslärmschutz-Richtlinie 1997, vgl. dort Abschnitt XVIII) erfolgen. Als Zumutbarkeitsgrenze ist allerdings nicht die 16. BImSchV, sondern die AVV-Baulärm heranzuziehen. Diese Entschädigung steht  den im Zeitpunkt des Baubeginns vorhandenen Nutzer der Wohnung oder Hauses (Mieter oder selbstnutzender Eigentümer) zu, da dieser den unzumutbaren Immissionen ausgesetzt ist.

2. Entschädigungen, soweit durch passiven Schallschutz ein ausreichender Schutz der Innen(wohn)bereiche nicht möglich sein sollte oder kein Anspruch auf passiven Schallschutz wegen der kurzen Dauer der Immissionen besteht: Hierfür kann eine Entschädigung in einer Höhe bis zu 100% der Mietkosten vorgesehen werden, da bei einer entsprechenden Belastung von einer vorübergehenden Nichtnutzbarkeit der Wohnung ausgegangen werden muss.“

3. Entschädigungen, soweit (weiter gehende) passive Schutzmaßnahmen technisch nicht möglich oder mit verhältnismäßigem Aufwand nicht realisierbar sind. „Hier sind den Betroffenen für die Beeinträchtigung von Wohnräumen von der Vorhabenträgerin eine angemessene Entschädigung in Geld zu zahlen. Soweit keine Einigung erzielt wird, bleibt die Entscheidung über die Höhe der Entschädigung einem gesonderten Entschädigungsverfahren nach § 74 Abs. 2 Satz 3 durch das Eisenbahn-Bundesamt vorbehalten. Die Höhe der Entschädigung richtet sich nach einem dann einzuholenden Verkehrswertgutachten.“

4. Umsiedelungen:Im Falle besonders schwer wiegender Belastungen entscheidet das Eisenbahn-Bundesamt darüber, ob die Immissionskonflikte so groß sind, dass die vorübergehende Umsiedelung einzelner Betroffener erforderlich wird… Eine Umsiedelung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn (gegebenenfalls neben sehr starken Baulärmimmissionen) große Erschütterungsbelastungen auftreten, dadurch die Nutzbarkeit der betroffenen Räume stark eingeschränkt wird und ein Schutz nicht oder kaum möglich ist. Denkbar ist sie auch, wenn ausschließlich Baulärmimmissionen auftreten, die so gravierend sind, dass auch mit passiven Schutzmaßnahmen zumutbare Verhältnisse nicht erreicht werden können.“

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