10 Fragen und wenig Antworten. Bahn im Rathaus zu Problemen beim Bau des Obertürkheimer Tunnels

Wie bereits mehrfach berichtet, stockt der Tunnelbau Richtung Obertürkheim wegen unerwartet hohen Wasserandrang. Vor zwei Jahren, am 13.2.2017, stand der Vortrieb kurz vor dem Untertürkheimer Sportplatz. Nach zwei Jahren ist der Vortrieb nur ca. 350 Meter weiter, d.h. hinter dem Sportplatz auf der Höhe der Bruckwiesenstraße 34. Hier die Grafik der Projektgesellschaft zum aktuellen Vortriebsstand zum 12.02.2019 (hell markiert ist der Sportplatz):

Verständlich, dass die Gemeindesratsfraktion SÖS-Link-Plus Ende Januar in einer Anfrage an die Stadt Stuttgart (hier) erneut nachhakte. Die Anfrage sollte letzten Dienstag von Vertretern der Bahn im Ausschuss Stuttgart 21/Rosenstein des Gemeindesrats mündlich beantwortet werden. Nach der Sitzung, über die die beiden Stuttgarter Zeitungen berichteten (hier), stellt die Fraktion in einem PS-Statement fest: „Zehn Fragen zu den Problemen, welche die Bahn beim Tunnel in Richtung Obertürkheim hat. Wassereinbruch, mögliche Sperrung der S-Bahn Strecke zwischen Esslingen und Stuttgart – das wurde offiziell im S21-Ausschuss am 12. Februar diesen Jahres behandelt – beantwortet wurde nicht eine Frage.“ Den Inhalt der Sitzung hat die Fraktion in einem ausführlichen Protokoll (hier) festgehalten. Auszüge aus der Präsentation der Bahn finden Sie hier.

Wir haben die Sitzung im Rathaus ebenfalls verfolgt. Die meisten Fragen der Fraktion zu den Auswirkungen sind in der Tat offen geblieben. Dass jedoch keine einzige Frage von den den Vertretern der Bahn nicht beantwortet wurde, ist etwas zugespitzt. Dennoch konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Probleme bei diesem Vortrieb vom zuständigen Projektleiter Andreas Dörfel zu Beginn seines Vortrags klein geredet wurden. Erst verwies er auf die Priorität der anderen Tunnelbauarbeiten, die vom Zwischenangriff Wangen aus laufen, d.h. den Vortrieb der beiden Röhren Richtung Untertürkheim und die begonnenen Innenverschalungsarbeiten. Dann sprach er davon, dass es in dem Tunnel „halt tröpfelt“. Und dies bei einer Wasserandrangsmenge von 30 l pro Sekunde, die laut StZN (hier) täglich „fünf Hallenbäder“ füllen würde. Doch aus seinen weiteren Ausführungen und denen des beauftragten Geologen Dr. Bernd Gaukel konnte man folgende Informationen entnehmen:

  • Im Vorfeld wurde zwar der Untergrund in einem ausreichend engen Erkundungsrater untersucht. Bereits zum Start des Tunnelbaus im Anfang 2014 stießen die Mineure am Zwischenangriff Wangen auf deutlich mehr Wasser als prognostiziert. Als Grund dafür gab der Geologe an, dass die Gesteinsschichten leicht geneigt lagen als angenommen. Die daraufhin beantragte und vom EBA genehmigte Tieferlegung der Tunnelröhren um vier Meter bewirkte, dass die Tunnelröhren -insbesondere unter dem Neckar- in großen Teilen in den trockenen Schichten des unausgelaugten Gipskeupers aufgefahren werden konnte. Anhydrit wurde nicht angetroffen.
  • Im September 2016 gab es beim Tunnelvortrieb der Weströhre Richtung Obertürkheim auf Höhe der Untertürkheimer Albert-Dulk-Straße einen starken Wassereinbruch bzw. Nachbruch. Als Gegenmaßnahme wurde der angetroffene Hohlraum mit Beton verschlossen und der Untergrund unter dem dahinterliegenden Sportplatzgelände mit Betoninjektionen verfestigt.
  • Der wieder angelaufene Vortrieb wurde wegen der geringen Überdeckung und der darüberliegenden Bebauung mit einem doppelten Rohrschirm gesichert. Doch der Vortrieb kam wegen den aufwendigen Sicherungsmaßnahmen und sehr umfangreichen Abdichtungsarbeiten nur wenige Meter voran. Daher wurde im September 2018 beschlossen den Vortrieb in der Weströhre vorläufig einzustellen. Dies blockiert aus tunnelbautechnischen Gründen den Vortrieb der dahinter stehenden Oströhre.
  • Aktuell steht der vordere Vortrieb auf Höhe des Bruckwiesenwegs 34 . Injektionen mit Beton von oben wie beim Sportplatz können wegen der darüberliegenden Bebbauung nicht realisiert werden. Die umfangreichen Abdichtungsinjektionen gegen den Wasserandrang und der Rohrschirm reichten jedoch nicht aus. Wegen des hohen Wasserandrangs gab es ein flächiges Durchsickern durch die Spritzbetonschale und der Spritzbeton hat nicht gehalten. Das Wasser wird über Schläuche abgeleitet.
  • Der Tunnel konnte, wenn nur in kleinen Abschnitten des Tunnelquerschnitts (Teilabschnittsverfahren) vorgetrieben werden. Dies sei nicht wirtschaftlich. Daher werden jetzt alternative Vortriebstechniken ausgetestet. Aktuell hat ein erster Versuch mit einer geänderten Vortriebstechnik bisher gute Ergebnisse erzielt. (Anmerkung: seit Anfang Januar wurden 36 Meter realisiert). Ein weiterer Versuch mit einer zweiten alternativen Vortriebstechnik ist im Laufe des Frühjahrs geplant.
  •  Der Tunnelvortrieb im Neckartal hat auch wasserwirtschaftliche Auswirkungen. Der Notbrunnen am Karl-Benz-Platz hat seit Mitte letztes Jahr Einbußen in der Ergiebigkeit und steht für die Notversorgung nicht mehr zur Verfügung. Als Ersatzbrunnen wird der Inselbadbrunnen als Notwasserbrunnen hergerichtet. Auch wenn hochmineralisiertes Wasser, das kein Mineralwasser sei, in Wangen und im Lindnschulviertel angetroffen wurde. Auf das Mineralwasser hätte dies keine Auswirkungen. Das Wasserrecht läuft Ende Februar aus. Die Bahn hat beim EBA in einem Interimsverfahren eine Verlängerung beantragt. Genehmigt waren 3,7 Millionen Kubikmeter, davon aktuell verbraucht sind 2,2 Millionen Kubikmeter. Wegen der längeren Bauzeit ist mit einer Überschreitung der genehmigten Rate zu rechnen. Vorbohrungen deuten auf viel Wasser hin.
  • Wann der Tunnelvortrieb Richtung Obertürkheim abgeschlossen sein soll, ist anscheinend noch nicht absehbar. Lediglich zum Tunnelvortrieb Richtung Untertürkheim gab es die Auskunft, die bereits in den beiden Stuttgarter Zeitungen zu lesen war. 2019 soll der Vortrieb Richtung Untertürkheim abgeschlossen sein. Es fehlen dort noch 210 bzw. 230 m.
  • Auch auf Nachfrage von SÖS-Stadtrat Hannes Rockenbauch über die Kosten dieser Bauverzögerung gab der S21-Chef Manfred Leger vor den Gemeinderatsmitgliedern keine Auskunft.
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