Was man für 28 Euro bei einer S21-Baustellenführung alles erfahren kann

Der  Verein Bahnprojekt Stuttgart-Ulm e.V. betreibt das Turmforum im Hauptbahnhof,  bietet regelmäßig Stuttgart21-Baustellenführungen an und veranstaltet jeweils zu Beginn des Jahres die „Tage der offenen Baustelle“ rund um den geplanten „Tiefbahnhof“. Die Arbeit des Vereins wird auch aus Steuergeldern finanziert. Das Land Baden-Württemberg, und die Stadt Stuttgart sind mittlerweile wieder Mitglied in diesem Verein.

Wir haben regelmäßig über die „Tage der offenen Baustelle“ berichtet, jetzt müssen wir es auch über eine Baustellenführung zum Bau der neuen Bahnsteighalle machen, an der ich als interessierte Anwohnerin teilgenommen hatte. Wenn schon die Belastungen der Stuttgarter durch die S21-Baulstellen in der Turmausstellung vollkommen ausgeklammert sind, sollte man doch von der für zwei Personen 28 Euro teuren Führung  zumindest neue Informationen zum Baustellengeschehen erwarten.

Doch diese Erwartungen wurden nicht erfüllt. Im Gegenteil, bei der Führung wurden teilweise unzureichende oder falsche Informationen über das Bauprojekt den Besuchern vermittelt. Diese waren so haarsträubend, dass ich mich veranlasst sah, beim Besucherdienst des Verein zu beschweren. Erst nach der zweiten Mail hat der Besucherdienst reagiert und will jetzt die „Angaben überprüfen„. Mit der Antwort war auch das Angebot verbunden „Sie als einen unserer Besucherguide anwerben zu können“.

Wir möchten Ihnen daher den Wortlaut des Mailverkehrs mit dem Besucherdienst des Vereins nicht vorenthalten. Lesen Sie hier:

Mail an den Besucherservice vom 12.10.2018:

Letzten Sonntag haben mein Mann und ich als betroffene Anwohner aus dem Kernerviertel an der Baustellenführung „Neue Bahnsteighalle“ um 15 Uhr teilgenommen. Es ist verständlich, dass die vom Bahnprojekt StuttgartUlm e.V. organisierten Führungen für das Projekt Stuttgart 21 Werbung machen. Nur sollte dabei auch ein realistischer Überblick vom Projekt und dem Stand der Bauarbeiten gegeben werden. So nett der Herr auch war, der uns führte. Bei der Führung mussten wir feststellen, dass es leider unzureichende und zum Teil auch falsche Informationen vermittelt wurden. Da dies nicht im Interesse des auch von dem Land BW und der Stadt Stuttgart getragenen Vereins sein kann, möchten wir Ihnen anhand von Beispielen Rückmeldung geben:

  • Inbetriebnahme Stuttgart 21: Bei der mehr als 1 1/4 stündigen Einführung im Turmforum (angekündigt war eine Baustellenführung vor Ort!) hieß es, dass sich die Inbetriebnahme von Stuttgart 21 Anfang diesen Jahres um 2 Jahre von 2023 auf 2025 verschoben habe. Dabei genehmigte der Aufsichtsrat der DB AG eine Terminverschiebung von Ende 2021 auf Ende 2025. Jedes Infragestellen an dem immer unrealistischer werdenden Fertigstellungstermin 2021 wurde noch bis ins Frühjahr 2017 hinein von der Bahn dementiert. Selbst als an den im Januar 2016 auf den „Tagen der offenen Baustelle“ präsentierten Schautafel eine Inbetriebnahme nicht vor 2022/23 ablesbar war, wurde dies als „überholter Bauablauf eines Workshops“ abgetan.
  • Mitfinanzierung Land BW: Der Leiter der Führung betonte, dass sich noch niemand über zu hohe Kosten von Stuttgart 21 beschwert habe. Schließlich sei es ja auch sinnvoller die Landesmittel in das Großprojekt zu stecken als das Geld über den Länderfinanzausgleich nach Berlin abzugeben. Dabei sind nicht die Ausgaben, sondern die Steuereinnahmen und die Finanzkraft ausschlaggebend für den Länderfinanzausgleich.
  • Bau der neuen Bahnsteighalle: Er hatte weder eine Tafel an der Hand, an der er die Lage der 28 Kelchstützen zeigen konnte, noch wusste er, wieviele Kelche (Gerüste, Verschalungen) gleichzeitig fertig gestellt werden können. Vom Zeitplan war keine Rede und erst auf Nachfrage erwähnte er, dass der erste Kelch wahrscheinlich noch im Oktober betoniert werde.
  • SSB / Nesenbachdüker: Man konnte bei der Führung den Eindruck gewinnen, dass nur noch die neue SSB-Haltstelle fertig gestellt werden muss und die SSB-Tunnel bereits fertig sind. Ich warf dann ein, dass die Bauarbeiten für den SSB-Tunnel Richtung Hauptbahnhof noch nicht gestartet sind und nach einem StZ-Bericht erst Anfang 2023 die Fertigstellung geplant sei. Auch zum Bauzeitenplan des Nesenbachdükers wurde nicht erwähnt, dass an diesem noch einige Zeit quer zur Schillerstraße bis zum Königin-Katharinen-Stift gebaut werden muss.
  • Verlängerung Gebhardt-Müller-Platz / B 14: Bei der Führung wurde ausführlich betont, dass mit Stuttgart 21 auch die B 14 tiefergelegt wird und zwar bis zum Neckartor jeweils einspurig. Entsprechend wäre dann der Autoverkehr im Tunnel verbannt. Dies ist leider nicht der Fall. Nach den Plänen, die noch 2013 im Umwelt- und Technikausschuss der Stadt präsentiert wurden, ist eine Tieferlegung nur bis kurz hinter der Ecke Landhausstraße, also noch vor dem Hotel Meridien, geplant. Oben verbleiben noch in beiden Fahrtrichtungen zwei Spuren sowie eine Einfädelspur vom Wagenburgtunnel und der Schillerstraße, die Verkehr mit sich bringen werden. 
  • Tunnelbau Richtung Fildern: Erwähnt wurde, dass zur Fertigstellung des Fildertunnels die Tunnelvortriebsmaschine nur noch Richtung Degerloch fahren müsse. Ich ergänzte, dass daneben noch der schwierige Anfahrbereich unter dem Kernerviertel mit den Hebungsinjektionen gemeistert werden müsse.

Wir haben uns dann nach 2 1/4 Stunden auf dem Weg zum Nordkopf aus der Führung ausgeklinkt, sind einen Kaffee trinken gegangen und ärgerten uns über den saftigen Eintrittspreis von 28 Euro, den wir uns hätten schenken können. Das nächste Mal werden wir wieder auf die „Tage der offenen Baustelle“ gehen, bei denen auch die Ingenieure der Projektgesellschaft ansprechbar sind und deutlich kompetenter Auskunft geben können. „

Mail an den Besucherservice vom 28.10.2018:

Es ist sehr bedauerlich, dass wir nach mehr als zwei Wochen von Ihrer Seite auf unsere Mail keinerlei Reaktion erhalten haben. Wir hoffen nicht, dass vom Turmforum unzureichende Informationen als „gut gemeinte“ Werbung für Stuttgart 21 einfach akzeptiert werden. Die in unserer Mail aufgeführten Punkte waren nur Beispiele, denen wir zur Verdeutlichung einen weiteren Punkt hinzufügen möchten:

Zum Obertürkheimer Tunnel Richtung Obertürkheim erwähnte der Baustellenführer, dass es ja nur einmal einen Wassereinbruch gegeben und man jetzt das Problem im Griff habe. Dies war allerdings nur sechs Tage nach einer Meldung der Stuttgarter Zeitung, dass der Bahn der Baugrund im Neckartal aufgrund des hohen Grundwasserandrangs erneut zu schaffen mache und der Vortrieb weiterhin stockt.

Bei dem seit Frühjahr 2014 angelaufenen Vortrieb der beiden Röhren des Obertürkheimer Tunnel mussten die Mineure unter erschwerten Vortriebsbedingungen immer wieder mit unerwartet hohem Wasserandrang kämpfen und mit ungeplanten, aufwendigen Gegenmaßnahmen reagieren (z.B. Tieferlegung der Tunnelröhren, Betoninjektionen). Innerhalb von viereinhalb Jahren wurden die beiden Röhren jeweils gerade einmal 1,8 Kilometer vorangetrieben.

Von daher war die Information in der Führung schlichtweg falsch. Es ist nicht nachvollziehbar, warum man nicht sachlich über die geologischen Schwierigkeiten informieren kann. Dies wird sowohl der erschwerten Arbeit der Mineure als auch den eingetretenen Befürchtungen der Anwohner hinsichtlich des Tunnelvortriebs im ehemaligen Neckarbett nicht gerecht. Mit einer steuerfinanzierten, „weich gespülten“ Werbung für Stuttgart 21 ist jedoch niemanden geholfen.“

Antwortmail vom Besucherservice vom 30.10.2018:

Vielen Dank für Ihre detaillierte Kritik an unserer Baustellenführung Neue Bahnsteighalle. Es freut mich, dass wir Sie als interessierten und fachkundigen Besucher zu Gast haben dürften. Selbstverständlich werden wir alle Ihre Angaben überprüfen, da wir an uns selbst einen hohen Qualitätsanspruch haben. Wir bemühen uns immer sehr mit unseren Besucherguides im Dialog zu bleiben und diese kontinuierlich mit neuen Informationen zu versorgen.

Da Sie sich offensichtlich sehr gut über das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm auskennen, würden wir uns freuen Sie als einen Besucherguide anwerben zu können. Bei Interesse melden Sie sich bitte bei …..“

Mail an den Besucherservice vom 01.11.2018:

„Ihre Mail hat mich sehr verwundert und geärgert. Denn man gewinnt den Eindruck, dass der Verein Bahnprojekt Stuttgart-Ulm e.V. an  einer Qualitätsverbesserung nicht wirklich interessiert sei:

  • Mein Ehemann und ich hatten uns angemeldet, weil wir ein ernsthaftes Interesse hatten über das Baustellengehen, das seit Jahren quasi vor „unserer Haustür“ stattfindet, Aktuelles zu erfahren.
  • Ich hab mir die Mühe gemacht, Ihnen an Beispielen Rückmeldung zu geben, welche falschen und unzureichenden Informationen bei dieser Baustellenführung, die uns immerhin 28 Euro (!) gekostet hat, gegeben wurde.
  • Bei einer Beschwerde mit solchen gravierenden Mängeln müsste man eigentlich erwarten, dass man dieser sofort nachgeht. Stattdessen bekam ich erst auf meine zweite Mail hin Rückmeldung, dass man jetzt die „Angaben überprüfen werde“. Mittlerweile fanden an weiteren zwei Sonntagen die Baustellenführungen zum Bau der neuen Bahnsteighalle statt.
  • Bei den von mir angeführten Kritikpunkten handelt es sich nicht um aktuelle Punkte, die man möglicherweise den Baustellen-Guides noch nicht vermittelt hat. Sondern es sind Basisinformationen (z.B. Verschiebung des Inbetriebnahmetermins, Finanzierung, geplantes Baustellengeschehen) oder Punkte, die man auch der aktuellen Berichterstattung der beiden Stuttgarter Zeitungen entnehmen kann (z.B. Hebungsinjektionen im Kernerviertel, Bauarbeiten am Südkopf SSB bis Anfang 2023, erneute Probleme wegen zu hohem Wasserandrang beim Tunnelbau Richtung Obertürkheim).
  • Statt einer Entschuldigung oder vielleicht sogar einer kundenfreundlichen Reaktion, kostenlos an einer weiteren Führung teilnehmen zu können, erhalte ich ein Angebot mich als Baustellenguide zu bewerben. Auch wenn es möglicherweise so nicht gemeint ist, zwischen den Zeilen kommt bei mir „dann machen Sie es halt besser“ an.

Es ist ja schon ein Unding, dass im Turmforum und in den Führungen die fast ein Jahrzehnt andauernden Belastungen der Anwohner und der Stuttgarter durch die Stuttgart-21-Baustellen bis auf den Hinweis auf die Baulogistikstraße vollkommen ausgeklammert werden.

Bei einem aus Steuergeldern finanzierten Verein kann man erwarten, dass man in einer Baustellenführung auch die Belastungen der Stuttgarter durch S21-Baustellen miterwähnt. Falls Sie sich informieren wollen, können Sie dies auch auf der Webseite der Anwohner-Netzwerke www.netzwerke-21.de, die ich redaktionell betreue. Darin finden sich unter anderem regelmäßige Berichte über die Anwohnerveranstaltungen. Wir werden jetzt auch über diese Baustellenführung berichten.

Dass die Arbeit der Netzwerke auch bei ihrem Verein durchaus wahrgenommen wurde, zeigen uns zumindest die Briefe ihres Vorsitzenden Georg Brunnhuber, in denen er Frank Schweizer und mich vom Netzwerk Kernerviertel letztes Jahr um ein Statement für die 21-Jubiläumsausgabe des Bezugshefts bat.

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