Dass die Bahn 2009 nicht wusste, auf welches Megaprojekt sie sich bei Stuttgart 21 einlässt, ist definitiv nicht glaubwürdig. Dazu ein Zitat aus dem Artikel „S 21 – ein Lehrbeispiel für die Folgen fehlender Transparenz“ von Hartmut Bäumer, Transparency, Ex-Amtschef des Verkehrsministeriums des Landes BW:
„Es fing bereits sehr früh an: Als die Deutsche Bahn an die damalige Landesregierung in Stuttgart meldete, dass ein Kostenrahmen von 2,8 oder auch 3,1 Milliarden Euro nicht realistisch sei, blieb diese Meldung auf Veranlassung des damaligen Ministerpräsidenten in der Schublade. Man wollte das Projekt unbedingt und fürchtete eine neue politische Debatte. In den Folgejahren behalf man sich nach außen mit Schönrechnereien. Damals sagten allerdings unbeteiligte Gutachter voraus, dass selbst der nunmehr angepeilte Kostenrahmen von 4,5 Milliarden Euro gerissen werde und eher ein Kostenrahmen von 6,5 Milliarden Euro realistisch sei. Aber nicht nur sie, auch der Chef der Stuttgarter Projektleitung und Baustelle wies im Jahre 2009/2010 darauf hin, dass die Kosten realistisch über 6 Milliarden Euro lägen. Er wurde vom damals verantwortlichen Infrastrukturchef der Bahn zum Schweigen verdonnert und verlor letztlich seinen Posten.“
Bei dem erwähnten Chef der Projektleitung und Baustelle handelt es sich um Hany Azer, der sein Amt im Mai 2011 überraschend niederlegte. Die Motive seines Rückzugs wurden von der Bahn in der Öffentlichkeit anders kommuniziert. Die StZ (hier) schrieb damals: „Als Gründe gab die Deutsche Bahn auf Nachfrage an, Azer habe unter der „angespannten Situtation in Stuttgart rund um das Bahnprojekt gelitten“. Persönliche Anfeindungen und in der Folge ständiger Personenschutz hätten ein Übriges getan.“
Die von ihm erstellte Risikoliste aus dem Jahr 2010 listete zahlreiche Risiken auf, die im damaligen Projektvolumen von 4,5 Milliarden Euro für Stuttgart 21 nicht eingepreist waren. Die von der Bahn unter Verschluss gehaltene Liste ist bereits 2010 durch die Reportage von Arno Luik im Stern und in weiten Teilen 2013 durch die Ingenieure 22 (Abschrift / Bewertung / Video Pressekonferenz) an die Öffentlichkeit gekommen.
Im Dezember 2009 räumt die Bahn ein, dass dass der Kostenrahmen um fast eine Milliarde Euro teurer wird. 8oo Millionen Einsparungen wurden als Gegenmaßnahmen präsentiert um unter der ausstiegsrelevanten Grenze von 4,5 Milliarden Euro zu bleiben, so dass ein Baustart im Februar 2010 möglich ist. Als eine der Einsparpotentiale werden geringere Röhrenquerschnitte und dünnere Betonwände der Tunnel ausgemacht. Dabei waren die dicken Tunnelwände auch den Quelldrücken durch den Anhydrit geschuldet. Die StZ zitierte Bahnchef Rüdiger Grube: „Wir wollen sichere Tunnel bauen, aber keine Bunker“.
Mittlerweile sind die Mehrkosten für die deutlich aufwendigeren Verfahren beim Tunnelbau im Anhydrit einer der Hauptfaktoren für die Kostenexplosion bei Stuttgart 21. Dies geht auch laut dem Web-Baufachmagazin www.baulinks.de (hier) aus einer aktuellen Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hervor. Einen Rückblick auf die Salamitaktik der Bahn bei diesem Risiko finden Sie in unserem Beitrag vom 11.Februar 2018. Ansonsten werden als Hauptkostentreiber umfangreiche Genehmigungsverfahren und die spätere Inbetriebnahme im Jahr 2025 genannt. Der in der letzten dpa-Meldung (hier) wieder einmal vom Bahnchef erwähnte Artenschutz ist nicht dabei. Die Bundesregierung musste auch auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Matthias Gastel Anfang des Jahres einräumen, dass der Artenschutz kein Grund für Kostenexplosion bei Stuttgart 21 ist.
Doch auch heute wird der Verkehrsausschuss des Bundestages nur unzureichend vom Vorstand der DB AG über die Erfahrungen mit dem Einsatz des neuen Verfahrens beim Tunnelbau im Anhydrit informiert. So heißt es am 17.4.2018 in www.baulinks.de (hier) : „Das genutzte Verfahren zum Tunnelbau im quellfähigen Gestein Anhydrid nannte Pofalla „teuer, aber sicher“. Mit dem vom Tunnelbauexperten Professor Walter Wittke entwickelten und betreuten Verfahren seien auf anderen Baustellen gute Erfahrungen gemacht worden, sagte der Bahn-Vorstand.“
Dabei ergab beispielsweise eine Anfrage zum Tunnelbau im Anhydrit an die Bundesregierung des Bundestagsabgeordneten Matthias Gastel im Januar 2017, dass dieses Bauverfahren mit den Kunstharzinjektionen zum Schutz vor Wasserzutritt noch nicht beim Tunnelbau im stark quellfähigen Anhydritgestein eingesetzt wurde. Matthias Gastel stellt auf seiner Webseite fest, dass die „Bundesregierung erschreckend ahnungslos sei“. Er hatte bei der Bundesregierung nachgefragt, „ob es bereits fertiggestellte Tunnel gibt, die nach diesem Verfahren gebaut wurden und ob es im Nachhinein Probleme durch aufquellendes Anhydrit gegeben hat. Die Bundesregierung konnte jedoch trotz mehrmaliger Nachfragen – und obwohl sie sich erfahrungsgemäß bei derartigen Fragen bei der Deutschen Bahn erkundigt – keinen einzigen Tunnel benennen, der in dieser Bauweise gebaut und in bereits in Betrieb genommen wurde.“
Hier noch eine aktuelle Twittermeldung, die an die Plakataktion der Projektgegner 2010 erinnert: