Die Vortriebsarbeiten der zweiten Röhre des Obertürkheimer Tunnels haben das Lindenschulviertel erreicht. Die Unterfahrung ist im Gegensatz zur ersten Röhre deutlich geringer. Zum Teil beträgt der Abstand zwischen dem Tunnelfirst und den Kellern weniger als zehn Meter. Die durch die Spreng- und Meißelarbeiten ausgelösten Erschütterungen sind dadurch um so deutlicher zu spüren.
Die Stuttgarter Zeitung berichtete letzte Woche in seiner Samstagausgabe (hier) über einen Konflikt zwischen dem Netzwerk Untertürkheim und der Bahn um die Einhaltung der durch die Planfeststellung vorgegebenen maximalen Erschütterungswerte. Der von Eigentümern des Netzwerks beauftragte Gutachter hatte im Haus von betroffenen Eigentümern im Mai mehrfach deutliche Überschreitungen der Anhaltswerte gemessen.
Die beiden Eigentümer hatten mehrfach die verantwortlichen Bahnvertreter auf die vom Gutachter gemessenen hohen Erschütterungswerte und die Risiken für die Bausubstanz ihres Wohnhauses hingewiesen und die Anpassung der Sprengparameter gefordert. Doch die Bahn bzw. die Projektgesellschaft reagierte darauf nicht.
Die StZ schreibt: „Der Gutachter erklärte in seiner Stellungnahme, dass die Erschütterungen durch die nächtlichen Meißelarbeiten eine „erhebliche Belästigung“ der Anwohner darstellten, bei weiteren Überschreitungen des Schwingungswerts nach den Sprengungen seien „Schäden am Gebäude zu erwarten“. Die Bahn weist diesen Vorwurf zurück. Die Werte seien bislang eingehalten worden.
Die Stuttgarter Zeitung kommentiert diesen Streit in „Die Bahn ist in der Pflicht“ (hier) und schreibt u.a.: „Die Frage ist also nicht, ob es Lärm und Erschütterungen gibt, sondern in welchem Ausmaß sie als unvermeidlich zu akzeptieren sind. Dafür gibt es Gesetze und Vorschriften, die einzuhalten sich auch die Bahn und die von ihr beauftragten Firmen verpflichtet haben. […] Im Lindenschulviertel droht nun ein ähnliches Szenario. Dort haben die Anwohner einen Gutachter bezahlt, nach dessen Messungen die vereinbarten Werte deutlich überschritten werden. Darauf reagiert die Bahn nicht und verweist stur auf ihre Messergebnisse. Bürgernähe und Gesprächsbereitschaft sehen anders aus, selbst wenn manch Verantwortlicher von den ständigen Einwürfen genervt sein mag. Die Bahn hat sich verpflichtet, die Werte einzuhalten. Sie muss den Sachverhalt rasch klären und die Konsequenzen ziehen.“
Inzwischen haben die beiden Eigentümer aus dem Lindenschulviertel Schäden am Wohnhaus festgestellt. Der Gutachter der Bahn sieht jedoch -wie auch bei anderen Schäden im Lindenschulviertel-keinen Zusammenhang mit dem Vortrieb. Die Eigentümer haben jetzt vor dem Landgericht Stuttgart eine zivilrechtliche Klage erhoben und fordern von der Bahn die Einhaltung der durch den Planfeststellungsbescheid auferlegten Erschütterungsrichtwerte der DIN 4150. Zumal die zwischen der Bahn und den beiden Eigentümern abgeschlossene Gestattungserklärung explizit die Einhaltung des Planfeststellungsbeschlusses bei den Vortriebsarbeiten vorsieht. Das Verwaltungsgericht Stuttgart ging in seiner Begründung einer aus formalen Gründen abgewiesenen Klage davon aus, dass eine Überschreitung der Anhaltswerte der DIN 4150 Teil 2 bei Erschütterungen von den Nebenbestimmungen des Planfeststellungsbeschlusses nicht gedeckt sei. Darüber berichteten wir im Februar.
Die Berichterstattung der StZ und die Klageeinreichung haben allerdings dazu geführt, dass seit letzter Woche bei den betroffenen Eigentümern die Anhaltswerte der DIN 4150 für Erschütterungen eingehalten werden. Die Verhandlung vor dem Landgericht Stuttgart findet nächste Woche statt.