TheologInnen gegen Stuttgart 21 kritisieren Kompromiss der Kirchen mit der Bahn wegen Sonn- und Feiertagsruhe

Immer wieder hatte Ulrich Ebert von den Juristen zu Stuttgart 21 darauf hingeweisen, dass der rund um die Uhr stattfindende Tunnelbaustellenbetrieb für Stuttgart 21 nicht durch das Sonn- und Feiertagsgesetz gedeckt sei, da die Kirchen einer Ausnahmegenehmigung vorher zustimmen müssten. Sowohl die Vortriebsarbeiten als auch die Baulogistik an Sonn- und Feiertagen würden diesem Gesetz unterliegen, da sie „geeignet sind, die Ruhe des Tages zu beeinträchtigen“. Die Bahn dagegen vertrat die Rechtsauffassung, dass mit der Erteilung der Ausnahmegenehmigung für die Sonn- und Feiertagsarbeit auch die eigentlichen Bauarbeiten abgedeckt seien. Auch der Planfeststellungsbeschluss wurde herangezogen. Dem widersprach das Eisenbahn-Bundesamt und verwies auf die erforderlichen Genehmigung durch die Behörden der Stadt bzw. des Landes BW, die dies wiederum anders sahen. Dieses „Behördenkarusell“ war zuletzt Thema auf der 361. Montagsdemonstration.

Jetzt haben sich die evangelische und die katholische Kirche mit der Bahn in einer „pragmatische Lösung beim Feiertagsschutz“ geeinigt. Dies spricht dafür, dass  die Bauarbeiten an Sonn- und Feiertagen für Stuttgart 21 tatsächlich nicht durch den Planfeststellungsbeschluss oder die Ausnahmegenehmigung für die Beschäftigten abgedeckt war.

Laut der gemeinsamen Pressemiteilung (hier) sollen an Ostern (Gründonnerstag bis Ostermontag) und Weihnachten (bis Neujahrstag) keine Tunnelbauarbeiten für Stuttgart 21 stattfinden. An den übrigen Sonn- und Feiertagen sagte die Projektgesellschaft laut Pressemitteilung zu, „besondere Sensibilität zu zeigen und den Schutz der Hauptgottesdienstzeiten zu wahren. Sollten dennoch Störungen auftreten, können sie zentral über die Kirchen an die DB PSU gemeldet werden. Besondere Gottesdienste, etwa im Zusammenhang mit dem Reformationsgedenken, können ebenfalls vorab über die Kirchen gemeldet werden. Störungen will die DB PSU der Vereinbarung zufolge entgegenwirken.“ In der Pressemitteilung heißt es weiter: „Die unterschiedlichen Rechtsauffassungen ließen sich nicht in Einklang bringen. So legen die Kirchen großen Wert auf einen umfassenden Schutz der Sonn- und Feiertage. Dementsprechend hätten sie sich weitergehende Ruhezeiten gewünscht, als jetzt zugesagt wurden. Gleichwohl habe die gefundene pragmatische Lösung ihre guten Seiten: Die nun zusammenhängenden Unterbrechungen des Tunnelbaus kämen den (überwiegend ausländischen) Arbeitskräften zugute, die weite Wege zu ihren Familien sowie gemeinsamer freier Zeit und Erholung haben.“

Der „Kompromiss“ ist jedoch kein Kompromiss, da an den Weihnachtstagen bis Neujahr der Tunnelvortrieb sowieso immer offiziell stillstand. Und in der Osterwoche lagen die in den letzten beiden Jahren auf der Webseite veröffentlichten Vortriebsmeter deutlich unter der ansonsten üblichen Größenordnung. Es ist daher zu vermuten, dass die Vortriebsarbeiten zumindest für ein paar Tage ruhten. Für die restlichen Sonn- und Feiertage dient der Kompromiss nicht der Einhaltung der „Ruhe des Tages“, sondern lediglich dem „Schutz der Hauptgottesdienste“.  Von den Belastungen der betroffenen Anwohner ist nicht die Rede.

Die TheologInnen gegen Stuttgart 21 kritisieren daher in einer Pressemitteilung (hier) den Kompromiss zwischen den Kirchen und der Bahn scharf. Darin heißt es:

„Die ökumenische Initiative „TheologInnen gegen Stuttgart 21“ kritisiert diese angebliche „pragmatische Lösung“ scharf: Es gibt für die Kirchen keine Veranlassung, auf eine solche Vereinbarung einzugehen, denn die Bahn hat an diesen besonderen Feiertagen auch schon früher ohnehin nicht an Tunnels gearbeitet. Statt eine solche Selbstverständlichkeit zu feiern, hätten die Kirchen deutlich erklären müssen, dass es ein Skandal ist, dass die Bahn für S21-Bauarbeiten seit Jahren das Feiertagsgesetz bricht. Nicht nur die höchsten Feiertage, sondern jeder Sonn-und Feiertag ist grundgesetzlich geschützt.

Gearbeitet werden darf grundsätzlich nur mit Ausnahmegenehmigung, und vor jeder Ausnahmegenehmigung sind die Kirchen zu hören. Die sind aber nie gehört worden. Dass die Bahn hier eine andere Rechtsauffassung vertritt, ist kein Grund, deren stures Nicht-Entgegenkommen noch mit einer Pressemeldung zu einem freundlichen
Kompromiss umzudeuten.

Die Theologen erinnern daran, dass das Feiertagsgesetz ein Gesetz ist, das den Feiertag für die ganze Gesellschaft schützt, nicht nur und nicht in erster Linie für Gottesdienstbesucher. Es ist zudem ein zentrales Element sowohl in der jüdischen, wie auch in der christlichen Tradition und – weit über seine religiöse Bedeutung hinaus – wichtiger Ausdruck, wahrgenommener zivilgesellschaftlicher Verantwortung auch und gerade für die Nichtglaubenden.

Wir erinnern daran, dass der Landesbischof der Ev. Landeskirche in Württemberg Frank Otfried July in seiner jüngsten Neujahrsbotschaft bereits angemahnt hatte, dass die Feiertagsruhe nicht schleichend wirtschaftlichen Interessen geopfert werden dürfe.
Und wir fordern die Kirchen auf, endlich mit einer breit angelegten Öffentlichkeitskampagne den entsprechenden politischen Druck zu erzeugen, der erforderlich ist, um das Feiertagsschutzgesetz gegen den enormen wirtschaftlichen Gegendruck wirkungsvoll zu sichern.“

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