StZ: Ohrfeige vom Rechnungshof für Dobrindt / Viele offene Fragen beim Großprojekt / Neue Kostenrisiken

Am Tag vor der Grundsteinlegung sickern erste Ergebnisse eines der beiden Berichte des Bundesrechnungshofes (BRH) über den Bau von Stuttgart 21 durch. In dem 24-seitigen Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages erhebt die Prüfbehörde  Vorwürfe gegen das Bundesverkehrsministerium. Der Bericht ist auf der Parkschützerseite abrufbar. Der BRH  fordert u.a. mehr Kostentransparenz und dass das Ministerium das milliardenschwere Infrastrukturprojekt mit Blick auf weitere Kosten-  und Qualitätsrisiken kontrolliert.

Laut SWR (hier) mahnen die Kontrolleure „in ihrem Bericht mehr Transparenz über die Kosten des Projektes von offiziell bis zu 6,5 Milliarden Euro an. Die Haushaltsmittel dafür sollten möglichst an einer Stelle im Bundeshaushalt übersichtlich und vollständig veranschlagt und erläutert werden. Das sei Voraussetzung für eine wirksame Budgetkontrolle durch das Parlament.“

Die Stuttgarter Zeitung (hier) schreibt: “ Durch die Weigerung des Ministeriums, das Großprojekt begleitend zu überwachen, könnten „bedeutende finanzielle Risiken für den Bundeshaushalt“ entstehen…Vor dem Hintergrund der ungeklärten Mehrkosten-Übernahme müsse das Ministerium sich möglichst rasch um die Gesamtfinanzierung kümmern… Gegenstand intensiverer Kontrolle muss nach Überzeugung des Rechnungshofes auch die Bauqualität sein. Mittel- und langfristige Folgelasten für den Bundeshaushalt durch Qualitäts- und Kapazitätseinbußen müssten verhindert werden. Kapazitätsengpässe haben auch die Gegner stets vorhergesagt. Nach Ansicht der Kontrolleure könnte der aktuelle Kostendruck die Bahn verleiten, die Bauausführung und Dimensionierung der Anlagekapazitäten zu „vereinfachen“.

Die Wirtschaftswoche (hier) meldet: „Das Verkehrsministerium verteidigte sich gegen die Kritik und sieht die Bahn selbst in der Hauptverantwortung. „Stuttgart 21 ist ein eigenwirtschaftliches Projekt der Bahn“, hieß es am Donnerstag. Der feste Betrag, den der Bund übernehme, beziehe sich zudem nur auf denjenigen Anteil, der den Anschluss der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm an den Knoten Stuttgart abdeckt. „An Mehrkosten beteiligt sich der Bund nicht. Diese sind von der Bahn und den Projektpartnern alleine zu tragen.“ Der Überwachung komme man über den Aufsichtsrat nach.“

Die vom Bundesrechnungshof laut einem Bericht der Stuttgarter Zeitung ermittelten Kostenschätzung von 10 Milliarden Euro tauchen in dem veröffentlichten Bericht nicht auf. Der eigentliche Bericht an das Bundesfinanzministerium über weitere vom BRH ermittelte Kostenrisiken steht wegen „schutzbedürftiger Geschäftsdaten“ dauerhaft unter Verschluss. Die Einsicht ist den Bundestagsabgeordneten nur unter strengen Auflagen erlaubt. Laut StZ (hier) kritisiert Sabine Leidig, Bundestagsabgeordnete der Linken, diese Praxis: „Es ist schon sehr merkwürdig, wenn ein wichtiger Prüfungsbericht über das derzeit größte Infrastrukturprojekt in Deutschland in einer Geheimschutzstelle landet, weil angebliche Geschäftsgeheimnisse über dem Interesse der Öffentlichkeit stehen.

Die FAZ (hier) berichtet: „Die Projektgesellschaft für Stuttgart 21 hält den Bericht nicht für maßgeblich, weil die Prüfer des Bundesrechnungshofes zum letzten Mal im Februar 2014 in Stuttgart gewesen seien. Viel entscheidender sei das von der Bahn bei der Wirtschaftsprüfung KPMG in Auftrag gegebene Gutachten.“

In ihrer heutigen Printausgabeberichtete die Stuttgarter Zeitung (hier), dass am 13.Oktober 2016 der Aufsichtsrat der DB AG  die in Auftrag gegebenen Gutachten zu Kosten und eigenen Haftungsrisiken bei Stuttgart 21 beraten wird. Weiterhin offen sei die Suche nach einem Nachfolger für den scheidenden Bahnvorstand Volker Kefer. Projektchef Manfred Leger sei laut StZ im Gespräch.

Update 16.9.: In der heutigen Printausgabe veröffentlicht die StZ eienen weiteren sehr lesenswerten Beitrag „Neue Risiken“ über den Kurzbericht des Bundesrechnungshofes. Daraus zwei Zitate:

„Die Verpflichtungen des Bundes bei S 21 betragen nach Erkenntnissen der Prüfer insgesamt bereits 1,65 Milliarden Euro und liegen damit schon mehr als 400 Millionen Euro höher als von der Regierung angegeben. Zudem bestehe die Gefahr einer „unkontrollierten Finanzierung“ von Mehrkosten zulasten des übrigen Schienennetzes und des Bundeshaushalts.“

„Die Kontrollbehörde wirft dem Ministerium sogar explizit Rechtsverstöße gegen das Haushalts- und Zuwendungsrecht vor. Nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip und Verwaltungsvorschriften in der Bundeshaushaltsordnung sei es dem Bund verboten, finanziell nicht abgesicherte Projekte zu fördern, heißt es in der Expertise.“

Update 17.9.: In der heutigen Printausgabe (hier) findet sich eine weitere ausführliche Analyse des Prüfberichts.

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