Gestern Abend waren Bahnvertreter im Bezirksbeirat in Wangen. Die Untertürkheimer Zeitung (hier) berichtetet darüber. Die Präsentation der Bahn finden Sie hier. Die erste Folie zeigt, wo die Vortriebsarbeiten am Obertürkheimer Tunnel in Wangen derzeit stehen:
Deutlich erkennbar ist, dass der der Bau der Oströhre im Wanger Wohngebiet gut zweihundert Meter „hinterher hinkt“.
Erkennbar ist, welchen Wohngebäuden bis zum 22. Dezember bzw. vom 2. bis 15. Januar 2016 Hotelübernachtungen angeboten werden. Die Bahnvertreter machte von daher den Anwohnern wenig Hoffung, dass sich die extremen Belastungen durch die Spreng- und Meißelarbeiten bessern wird und präsentierten folgende Folie zum Immissionsschutz in Wangen:
Für viele Anwohner sind die seit Monaten andauernde Belastung durch Lärm und Erschütterung nicht mehr tragbar. Seit 3,5 Monaten sind die Betroffenen schon mit der Problematik konfrontiert und laut der Aussage der DB gestern, geht das noch ein „gutes halbes Jahr“ so weiter.
Es handelt sich hier um einen deutlichen Eingriff in die Lebensqualität der Betroffenen und nicht um eine kurze Störung. Hotelübernachtungen sind über viele Wochen hinweg vor allem für Familien und Ältere keine Lösung. Sie argumentieren, dass vom Gesetzgeber die sogenannte Nachtruhe auf den Zeitraum von 22 bis 6 Uhr festgelegt wurde. Während dieser Zeitspanne sind grundsätzlich alle lärmverursachenden Tätigkeiten oder Belästigungen, die die Nachtruhe stören könnten, verboten.
Für einige Wangener Bürger, die sich über die Rechtslage informiert haben, ist es sehr bedauerlich, dass die Aussagen der Bahn zum Immissionsschutz gestern im Bezirksbeirat unkommentiert bleiben mussten. Denn es wurde den Bezirksbeiräten eine einseitige und teílweise sogar sachlich falsche Darstellung gegeben. Den Betroffenen ist daran gelegen, eine faire und vor allem angemessene Lösung zu erhalten. Viele Anwohner fordern mittlerweile eine Entschädigung anstatt der Hotelgutscheine und berufen sich dabei auf den Planfeststellungsbeschluss. Daher möchten wir kurz die Rechtslage skizzieren:
- Bauen 24h/7 Tage
Zwar stimmt es dass der Planfeststellungsbeschluss 1.6a (PFB) den kontinuierlichen Baubetrieb genehmigt hat, aber natürlich nur innerhalb der gesetzlich zulässigen Grenzwerte.
- Sprengen von 6-22h:
Sprengungen bewirken Erschütterungen, primären Luftschall und teilw. sekundären Luftschall. Die Einschränkung erfolgt über die Grenzwerte hierzu. Allerdings unterliegen die Grenzwerte unterschiedlichen Regelungen. D.h. die Erschütterungen richten sich nach der DIN 4150, der primäre Luftschall nach der AVV Baulärm und der sekundäre Luftschall ist in der DIN 4150 nicht verbindlich geregelt, kann aber nach anderen passenden Vorschriften durchaus beurteilt werden. Da die Häufigkeit der Sprengungen entspr. DIN 4150 nicht als „selten auftretende Erschütterungen“, d.h. weniger als 15 Stück pro Woche, einzuordnen sind, gelten auch strengere Grenzwerte und es dürfte aufgrund der Schall-Emissionen gar nicht so häufig gesprengt werden. Da aber die auftretenden Lärmwerte des sekundären Luftschalls nicht gemessen werden, kann ja auch nicht eingeschränkt werden.
- Immissionen / Sekundärer Luftschall durch den Baubetrieb:
Hier wurde fälschlicherweise auf Basis der fehlerhaften zugrunde liegenden Erschütterungs- und Lärmgutachten (erstellt durch das Ingenieurbüro Fritz GmbH) angenommen, dass es keine Immissionen gibt. Der PFB sagt hierzu auf S. 236: „(4) Die schalltechnische Untersuchung (Anlage 16.2 der Antragsunterlagen) beruht auf plausiblen Ansätzen und zeigt nachvollziehbar, in welchen Bereichen es zu Immissionskonflikten kommen wird. In den Tunnelbereichen – auch bei nur geringer Überdeckung – sind keine Auswirkungen durch Baustellenlärm zu befürchten, da die Baumaßnahmen in bergmännischer Bauweise, d.h. unterirdisch erfolgen.“
Daher finden sich in dem PFB auch keine entsprechenden Hinweise zum sekundären Luftschall bzw. welche Höchstpegel dabei beachtet werden sollten. Da der auftretende sekundäre Luftschall mit der AVV-Baulärm nicht beurteilt werden kann, müssen andere zuständige Richtlinien herangezogen werden. Hierfür gibt es die TA-Lärm, die DIN 4109 oder die VDI 2058. Letztere sieht folgende Mittelungswerte in Wohnräumen vor: tags: 35 dB(A) / nachts: 25 dB(A). Maximalpegel können 10 db(A) höher liegen. Die Messungen des Büro Fritz haben Werte innerhalb eines Wohnhauses an der Nähterstraße von 37 db(A) im Schlafzimmer (1.OG) und Werte bis zu 55 db(A) im Wohnraum (EG) ergeben.
Jede der Richtlinien und Vorschriften beurteilt in Wohn- oder Aufenthaltsräumen, nicht ausschließlich in Schlafräumen. Die WHO sieht in ihren „Guideline values“ den Grenzwert nachts bei 30 db (A). Darüber gibt es Auswirkungen auf Schlafdauer, Schlafintensität und Schlafarchitektur, die eine Beeinträchtigung des vegetativen Sytems zur Folge haben. Der Arbeitskreis Lärmwirkungsfragen beim Umweltbundesamt sieht folgende Ziele für einen angemessenen Schallschutz innerhalb von Wohnungen: nachts unter 25 bis 30 dB(A) / tags unter 30 bis 35 dB(A). Natürlich hätten nächtliche Sprengungen also auch weiterhin zur Folge, dass die gesetzlich zugesicherte Nachtruhe nachhaltig gestört wird.
- Entschädigung in Form von Hotelgutscheinen
Die Bahnvertreter erklärten auf der Bezirksbeiratssitzung , es wäre nicht möglich die Betroffenen in Geldform zu entschädigen. Dabei sieht auch der Planfeststellungsbeschluss zum PFA 1.6a auf S. 240 Entschädigungen bis zu 100% der Miete bei Nichtnutzbarkeit vor:
„Andere Regelungen gelten für den – eher unwahrscheinlichen – Fall, dass auch durch passive Schutzmaßnahmen ein ausreichender Schutz der Innen(wohn)bereiche nicht möglich sein sollte bzw. dass ein Anspruch auf passive Schutzvorkehrungen wegen der kurzen Dauer der Immissionen nicht besteht. Hierfür kann eine Entschädigung in einer Höhe bis zu 100% der Mietkosten vorgesehen werden, da bei einer entsprechenden Belastung von einer vorübergehenden Nichtnutzbarkeit der Wohnung ausgegangen werden muss.Soweit Belastungen sowohl durch Baulärm, als auch durch baubedingte Erschütterungen auftreten, ist eine Entschädigung für beide Belastungen vorzusehen, da dann auch eine zweifache Betroffenheit besteht. Für andere als Wohnnutzungen konnten entsprechende Kriterien nicht allgemein festgesetzt werden, da hier die Beeinträchtigung von der jeweils ausgeübten Nutzung abhängt und individuell beurteilt werden muss. Die für Wohnräume dargestellten Grundsätze sind aber – soweit sinnvoll – entsprechend anzuwenden.“
Und auf S. 39 des Planfeststellungsbeschlusses ist zu lesen: „Sind (weiter gehende) Schutzmaßnahmen technisch nicht möglich oder mit verhältnismäßigem Aufwand nicht realisierbar, ist den Betroffenen für die Beeinträchtigung von Wohnräumen von der Vorhabenträgerin eine angemessene Entschädigung in Geld zu zahlen.“
Das Wort Hotel oder Hotelgutschein taucht auf keiner der 355 Seiten des PFB auf!