Netzwerke wenden sich wegen Kostenrisiken an den Bundesrechnungshof

Der Bundesrechnungshof prüft erstmals seit 2008 die Wirtschaftlichkeit des Bahnprojekts Stuttgart 21 aus Sicht des Bundes. Ursprünglich sollte die Untersuchung im Juli veröffentlicht werden, jetzt rechnet man mit der Stellungnahme erst zum Ende des Jahres. Die Netzwerke der von der Untertunnelung durch Stuttgart 21 betroffenen Grundstückseigentümer haben daher in einem Schreiben an den Bundesrechnungshof darauf aufmerksam gemacht, dass sowohl angemessene Entschädigungen für die Eintragung der Unterfahrungsrechte in die Grundbücher als auch die Haftungsrisiken noch zu erheblichen Kostensteigerungen für das Projekt Stuttgart 21 führen könnte. Hier finden Sie den Text des Briefes der Netzwerke vom 12.08.2013 an Prof.Dr. Engels, den Präsidenten des Bundesrechnungshofes:

Sehr geehrter Herr Präsident,

die Berichterstattung in den Medien über das Bauprojekt der DB AG „Stuttgart 21“ ist leider unvollständig. Daher erlauben wir uns, mit diesem Schreiben auf die im Folgenden aufgeführten Gesichtpunkte hinzuweisen, die u.E. bei der laufenden Prüfung berücksichtigt werden sollten.

In der medialen Diskussion wird bislang vernachlässigt, dass es bei diesem Projekt nicht nur um einen unterirdischen Bahnhof geht, sondern dass der gesamte Bahnknoten einer Großstadt weitgehend unter die Erde verlegt werden soll. Zu diesem Zweck sind etwas mehr als 60 km Tunnelbauwerke allein im Stadtgebiet Stuttgart vorgesehen. Tausende von Grundstücken und Häuser werden trotz teilweise schwierigster geologischer Verhältnisse unterfahren. Die betroffenen Eigentümer und Anwohner entlang der Tunnelstrecken haben sich daher zur Wahrung ihrer Interessen in Netzwerken zusammengeschlossen, insbesondere da die DB AG in ihren derzeitigen Vertrags- und Entschädigungsangeboten weder die finanziellen Verluste ausreichend abdeckt noch bereit ist, eine ausreichende und angemessene Haftung für Schäden an den Gebäuden zu übernehmen:

Zu den Entschädigungen:

  • Das von der Fa. DIA Consulting AG in Freiburg für die DB erstellte Gutachten, nach dem die Entschädigungen ermittelt werden, die den Angeboten der DB zu Grunde liegen, geht von pauschalen Bodenrichtwerten und nicht von individuellen Bodenwerten der Grundstücke aus. Es ignoriert so – wohl aus Kostenersparnisgründen – die wegen der speziellen Stuttgarter Topographie und konkreten Bebauungen deutlich höheren realen Werte vieler Grundstücke. Diese niedrige Entschädigungsgrundlage ist nach unserer Ansicht unzulässig. Das ist der DB wohl auch bewusst. Allein das darin bestehende Kostenrisiko wurde in einer Präsentation der DB Projektbau GmbH v. 25.3.2011, den sog. „121 Chancen und Risiken“, mit 21,9 Mio. Euro beziffert. Die weiteren in dem Gutachten vorgesehenen erheblichen als „Anpassungen“ bezeichneten Abschläge sind weder durch die Rechtsprechung noch durch eine nachgewiesene Praxis fundiert.
  • Ferner lässt dieses Gutachten den Gebäudewert unberücksichtigt. Das ist ebenso wenig akzeptabel wie der Ansatz für die Dienstbarkeitsflächen, welcher die zu beiden Seiten der Tunnelflächen noch beanspruchten Schutzstreifen unberücksichtigt lässt.

Zur Frage der Risiken und der Haftung:

  • Es bestehen sowohl Risiken für die unterfahrenen Gebäude durch die Beschaffenheit des Untergrunds (Anhydrit, ausgelaugter und damit entfestigter Gipskeuper, Dolinen) als auch durch die Grundwasserabsenkungen und -infiltrationen, die während des jahrelangen Bahnhofs- und Tunnelbaus erforderlich sind. Diese Risiken sind bislang von der DB AG nur unzureichend untersucht worden.
  • Erst jetzt im laufenden 7. Planänderungsverfahren zu Abschnitt 1.1 (Talquerung), das während der Bauzeit eine Verdoppelung der abzupumpenden Grundwasserentnahmemenge vorsieht, reichte die DB AG auf Forderung der betroffenen Anwohner sowie der Fachbehörden der Stadt Stuttgart und des Landes BW 1 eine geotechnische Stellungnahme zur Gebäudesicherheit nach. Diese Stellungnahme kam allerdings nicht von neutralen Gutachtern, sondern von den mit den Tunnelplanungen beauftragten Büros.
    Das baden-württembergische Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) hat diese Stellungnahme „auf der Grundlage der ihm vorliegenden Unterlagen“, also nicht auf Grund eigener Untersuchungen, überprüft und weist u.a. auf die fehlerhaften Berechnungen der Setzungsrisiken bei dem entfestigten Gestein des ehemaligen Nesenbachtals sowie der angrenzenden Hänge hin. In der Tat handelt es sich hierbei um eines der großen noch völlig ungeklärten Risiken des Projekts. Wenn hier Rutschungen auftreten, werden die Schäden immens sein. Auch fordert das Landesamt Setzungsmessungen für die Gebäude auch außerhalb der zurzeit geltenden
    Beweissicherungszonen.2 Als betroffene Grundstückseigentümer werden wir daher in der kommenden mündlichen Erörterung von der DB eine Neueinschätzung der DB Risiken für die Gebäude fordern.
  • Wegen der geologischen Risiken für die Gebäudesicherheit wird der Beleihungswert der betroffenen Grundstücke und Häuser mittlerweile von den Stuttgarter Banken mit einem Abschlag von 15 -20% angesetzt. Die ersten Entschädigungsangebote der von der DB AG beauftragten LBBW Landsiedlung GmbH berücksichtigen jedoch nur einen Bruchteil dieses tatsächlichen Vermögensverlustes.

Die für Grunderwerb und Entschädigungen von der DB AG ursprünglich veranschlagten Kosten wurden im Zuge der Einsparmaßnahmen halbiert. Die DB AG hat unseres Wissens auch keinen Betrag für mögliche Gebäudeschäden an Häusern entlang der 60 km langen Tunnelstrecken in Stuttgart – oder entsprechende Versicherungsprämien – vorgesehen.

Daher wenden wir uns als Vertreter der in den Netzwerken organisierten betroffenen Grundstückseigentümer und Anwohner an Sie. Sowohl die unzureichend angesetzten Entschädigungsbeträge der DB AG als auch die Risiken für die betroffenen Gebäude müssen in den Finanzplanungen für das Bauprojekt „Stuttgart 21“ realistisch veranschlagt werden. Es hilft weder der DB AG noch den Steuerzahlern, wenn ein Projekt dieser Größenordnung von falschen Kalkulationszahlen ausgeht. Wir halten es daher für richtig, dass der Bundesrechnungshof die genannten Teuerungsperspektiven bei seinen Prüfungen mit einbezieht.

Für eine Stellungnahme wären wir dankbar.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Uwe Dreiss        Ulrich Hangleiter         Rolf Ade                 Barbara Weber      Dr. Corina Schimitzek

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