Nicht nur der Anhydrit ist kritisch. Bahn vergibt Auftrag zur Verformungsbetrachtung für den Einbau der festen Fahrbahn

Letzte Woche machte die DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH eine Auftragsvergabe im EU-Amtsblatt bekannt. Es geht um den Auftrag als Sachverständige für Gesamtheitliche Verformungsbetrachtung für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke. Über die Ausschreibung dieser Dienstleistung mit den beiden Verlängerungsoptionen bis einschließlich Februar 2026 also weit über dem damals noch offiziellen Inbetriebnahmetermin 2021 hinaus, hatten die Stuttgarter Nachrichten (hier) im November 2017 berichtet.

Doch nicht nur die Ausschreibung bzw. Vergabe der Dienstleistung ist interessant, sondern auch welche geologischen Verhältnisse beim Einbau der festen Fahrbahn hinsichtlich einer möglichen Verformung  bei Stuttgart 21 und der Neubaustrecke kritisch sind. Denn Aufgabe der Dienstleistung ist es: „Der Sachverständige für Gesamtheitliche Verformungsbetrachtung wertet zur Verfügung gestellte Verformungsmessdaten aus, prognostiziert Verformungsverläufe und -unterschiede und gleicht diese mit den zulässigen Werten zum Einbau der Festen Fahrbahn gemäß Ril 836.1001 und 836.3001 auch unter Berücksichtigung der geplanten Einbautermine der Festen Fahrbahn ab und spricht eine Einbauempfehlung aus. Die Gesamtheitliche Verformungsbetrachtung umfasst im Los 1 Stuttgart alle Bauwerke in den PFA 1.1 bis 1.6, die das Oberbausystem Feste Fahrbahn haben.“

Der den Ausschreibungsunterlagen beigefügte „Ergebnisbericht  zur Gutachtendurchsicht im Rahmen der Ganzheitlichen Verformungsbetrachtung vom 25.10.2013“ sollte den Teilnehmern der Ausschreibung Informationen über die nach Einschätzung der Gutachter kritischen Abschnitte liefern. Die Gutachter hatten die von der Projektgesellschaft übergebenen geologischen und geotechnischen Unterlagen gesichtet und stellten hinsichtlich des relevanten Verformungsmaterials Besonderheiten und mögliche Problembereiche in den einzelnen Planfeststellungsabschnitten für Stuttgart 21 und der Neubaustrecke fest. Für die  S21-Abschnitte sind es folgende Punkte:

  • PFA 1.1. / Tiefbahnhof: Grundwasseranstieg und -absenkung
  • PFA 1.2. / Fildertunnel: Quellhebungen /Grundwasseranstieg und -absenkung
  • PFA 1.3. / Filderabschnitt: Quellhebungen / gering tragfähig, weiche Böden / geringe Wasserdurchlässigkeit / Kriechen / Morphologie Übergangsbereiche  / Dämme >5m / Grundwasseranstieg und -absenkung
  • PFA 1.4. / Wendlinger Abschnitt: Quellhebungen / gering tragfähig, weiche Böden / geringe Wasserdurchlässigkeit / Kriechen / Morphologie Übergangsbereiche  / Dämme >5m / Dämme >10 m / Hangbewegungen / Grundwasseranstieg und -absenkung
  • PFA 1.5. / Bad Cannstatter und Feuerbacher Tunnel: Quellhebungen /Subrosion (Gipsauslaugung) / Morphologie Übergangsbereiche /Grundwasseranstieg und -absenkung
  • PFA 1.6. / Obertürkheimer Tunnel: Quellhebungen / Subrosion (Gipsauslaugung)  / Hangbewegungen / Kriechen / Grundwasseranstieg und -absenkung

Allerdings weist der Ergebnisbericht von 2013 in der Anlage auch die bautechnischen Empfehlungen und Maßnahmen aus, mit denen Problembereiche beherrscht werden sollen. Nach Einschätzung der Gutachter sind diese „zur Beherrschung der möglichen Problembereiche geeignet“ bzw. „können zum Teil durch die bautechnischen Maßnahmen ausgeräumt werden. “ Die Probleme bzw. die in den Klammern angeführten Maßnahmen sind in den S21-Planfeststellungsabschnitten Folgende:

  • PFA 1.1. / Tiefbahnhof: Hohlräume am Nord- und Südkopf (kombinierte Pfahl- / Plattengründung, Verfüllung der Hohlräume)
  • PFA 1.2.:/ Fildertunnel: Quellen (Berücksichtigung bei der Dimensionierung des Tunnelbaus) / Verformungen infolge erhöhter Wasserwegigkeiten zum oberen Muschelkalk (Abdichtung mittels Injektionen) / Störungen im Nahbereich durch geringe Festigkeiten und höhere Verformbarkeiten (zusätzliche temporäre Sicherung)
  • PFA 1.3. / Filderabschnitt: nicht geeignete Böden in Dammaufstandsfläche (Bodenaustausch) / Böden mit geringer Wasserdurchlässigkeit, langanhaltende Zeitsetzung (Vorgabe einer Mindestliegezeit) / Quellen (wird nicht als maßgeblich bewertet)
  • PFA 1.4./ Wendlinger Abschnitt: Gravitative Massebewegungen (keine gesonderten Empfehlungen/ Maßnahmen vorgesehen) / Quellen (nach derzeitigen Kenntnisstand keine Maßnahmen zur Vermeidung schädlicher Quellwirkung erforderlich, weitergehende Untersuchungn werden jedoch empfohlen) / nicht geeignete Böden in Dammaufstandsfläche (Bodenaustausch oder Bodenverbesserung) / Böden mit geringer Wasserdurchlässigkeit, langanhaltende Zeitsetzung (Vorgabe einer Mindestliegezeit)
  • PFA 1.5. / Bad Cannstatter und Feuerbacher Tunnel:: Quellen Tunnel Feuerbach ( Berücksichtigung bei Dimensionierung des Tunnelausbaus) / Quellen Tunnel Bad Cannstatt (zusätzliche Maßnahmen in Gipskeuper, z.B. verstärkte Sicherung bewehrten Spritzbeton)
  • PFA 1.6. / Obertürkheimer Tunnel: Quellen (kein besonderen Maßnahmen vorgesehen) / Störungen (vorauseilende Erkundung und ggf. Abdichtung) / Hohlraumstrukturen ( Empfehlung zur Verfüllung)

Die im Ergebnisbericht von 2013 aufgelisteten Maßnahmen sollten in der Bauphase durchgeführt werden. Aus dem der Aussschreibung zur Verformungsbetrachtung zugrundeliegenden Ergebnisbericht wird deutlich, dass im Stuttgarter Untergrund nicht nur der quellfähige Anhydrit (StZ) beim Einbau der festen Fahrbahn für Stuttgart 21 einen „Problembereich“ darstellt.

Update 29.März 2018: Wir haben von der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH Rückmeldung zu unserem Beitrag erhalten. Der Auftrag für die Dienstleistung einer Verformungsbetrachtung sei für den Einbau von festen Bahnfahrbahnen üblich. Der über den offiziellen Inbetriebnahmetermin von Stuttgart 21 Ende 2025 hinaus gehende optionale Vertragszeitraum bis Februar 2026 beruhe darauf, dass die beauftragten Dienstleister sowohl im Testbetrieb als auch zu Beginn des Fahrbetriebs Nachmessungen durchführen müsssen. [Dazu ein Beispiel zu den erforderlichen Messungen beim Einbau einer Festen Fahrbahn  BAUGRUND DRESDEN: Hochgeschwindigkeitsstrecken mit Fester  Fahrbahn – Geotechnische Messkonzepte ]

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