Für Stuttgart 21 sind noch zahlreiche Enteignungsverfahren durchzuführen

Im Stuttgarter Amtsblatt Ende Mai wurde ein Enteignungsantrag über zwei Flurstücke in Wangen für den Tunnelbau von Stuttgart 21 bekanntgemacht. Für viele Eigentümer war dies nicht nachvollziehbar, da der Obertürkheimer Tunnel unter diesem Abschnitt bereits vorgetrieben war.

Das Netzwerk Wangen hakte daraufhin bei der Bürgerbeauftragten Alice Kaiser, der Bezirksvorsteherin Beate Dietrich und dem von der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH (PSU) beauftragten Dienstleister für das Flächenmanagement nach und erhielt über die Bezirksvorsteherin vom Abschnittleiter Günther Osthoff folgende Auskunft:

Es handelt sich um ein Flurstück an der Ulmer Straße, welches bereits durch die Tunnelbaumaßnahme in Anspruch genommen wurde. Dazu wurde bereits vor mehr als zwei Jahren ein Besitzeinweisungsverfahren durchgeführt. Bei diesem nun nachgelagerten Enteignungsverfahren geht es nun um die dingliche Sicherung im Grundbuch (Tunnelrecht).

Bei den Fragen der Bürger wird fälschlicherweise davon ausgegangen, dass es sich bei einer Enteignung zwangsläufig um oberirdische Maßnahmen handelt. Dies ist jedoch nicht der Fall. Kurz zu der Beantwortung der Fragen:

  1. Grund für Antrag: keine Einigung zum Gestattungsvertrag mit  Eintragungsbewilligung. Maßnahmen (Tunnelbau) konnten bereits nach Besitzeinweisung durchgeführt werden
  2. Es finden keine oberirdischen Maßnahmen statt
  3. Einzig das Verbindungsbauwerk unter der Ulmer Straße muss in diesem Bereich noch hergestellt werden. Dies ist jedoch losgelöst von diesem Verfahren. Vor Beginn der Arbeiten am Verbindungsbauwerk, werden die Anrainer nochmals informiert.

Es sei noch an gemerkt, dass noch sehr viele Enteignungsverfahren durchgeführt werden müssen. Dies betrifft sämtliche Grundstückseigentümer, mit denen wir uns nicht über den Gestattungsvertrag einigen konnten bzw. einig werden. Sofern Eigentümer eine sog. Gestattungserklärung unterzeichnet haben, konnten wir die Grundstücke bereits (unterirdisch) in Besitz nehmen. Um jedoch auch Eigentümer unseres Tunnelbauwerks zu werden, bedarf es einer Eintragung im Grundbuch. Diese können wir in einigen Fällen eben nur über ein Enteignungsverfahren erwirken.“

Auch das von der PSU beauftragte Büro für das Flächenmangement antwortete der Bezirksvorsteherin und Tunnelpatin Beate Dietrich in einer ausführlichen Mail über den rechtlichen Hintergrund der Enteignung. Lesen Sie hier. Darin heißt es u.a.:

Da grundsätzlich Eigentum an Grund und Boden und an eingebrachten Ein-und Aufbauten zusammenfällt, ist es auch trotz einer Besitzüberlassung oder Besitzeinweisung erforderlich, den Verbleib des Bahntunnels im fremden Grund und Boden im Grundbuch zu sichern. Gelingt es erneut nicht, die Eintragung eines solchen Tunnelrechtes freihändig zu vereinbaren- weil etwa die Höhe der für den Eingriff zu leistenden Entschädigung nicht angemessen erscheint –bleibt der DB Netz AG nur, die zwangsweise Eintragung des Tunnelrechts im Wege eines Enteignungsverfahrens zu betreiben. Im Enteignungsverfahren ist dann auch zu prüfen und durch die Enteignungsbehörde festzustellen, ob die seitens der DB Netz AG angebotene Entschädigung angemessen und vollständig ist. Besitzeinweisungs- und Enteignungsverfahren sind nicht- öffentliche Verfahren und Verhandlungen. Bei Eigentümergemeinschaften, kann zum Beispiel jeder Miteigentümer verlangen, dass zu Wahrung etwaiger persönlicher bzw. geschäftlicher Geheimnisse etc. mit ihm gesondert verhandelt wird.“

Die Unterscheidung dinglich/schuldrechtlich im Bürgerlichen Gesetzbuch ist eine Besonderheit des deutschen Rechts. Dies betrifft auch den Tunnelbau und -betrieb für Stuttgart 21:

  • Der Gestattungsvertrag und die darin enthaltene Zustimmung zur Unterfahrung eine Grundstücks ist „nur“ eine sog. „schuldrechtliche“ (lat.: „obligatorische) Verpflichtung des Eigentümers gegenüber dem Vertragspartner Bahn, die den Eigentümer zur Duldung der Unterfahrung vepflichtet. Sie wirkt nicht gegenüber einem Erwerber oder Erben.
  • Soll eine Verpflichtung (z.B. Unterfahrrecht) für immer und ewig am Grundstück „kleben“, also immer gegenüber dem jeweiligen Eigentümer wirksam sein, so ist das eine (wenn auch nur teilweise) Enteignung. Diese Verpflichtung muss daher im Grundbuch eingetragen und für jedermann durch Einsicht in das Grundbuch feststellbar sein. Im Gegensatz zur (nur) schuldrechtlichen Verpflichtung spricht man dann von einer „dinglichen“ Verpflichtung. Sie ist mit dem „Ding“(Eigentum) in jedem Fall verbunden.
  • Auf Dauer braucht die Bahn eine solche dingliche Belastung für alle unterfahrenen Grundstücke. Wenn der Eigentümer nicht mitmacht, muss die Bahn den Eigentümer „enteignen“.
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