Risikoanalyse identifiziert noch höhere Risiken für Bau und Betrieb der S 21-Tunnel als KPMG

Letzten Montag sprach auch der Geologe Dr. Jakob Sierig auf der Pressekonferenz des Aktionsbündnisses. In seinen Reden auf den Montagsdemos und 2010 in der Schlichtung hatte er wiederholt auf die Risiken des Tunnelbaus im Anhydrit hingewiesen. Leider wurde über die aktuelle „Risikoanalyse der mit Bau und Betrieb der Zufahrtstunnels verbundenen Risiken für S21″, die Dr. Sierig auf der Pressekonferenz vorstellte, nicht in den Medien berichtet. Daher möchten wir auf dieses Kurzgutachten hinweisen. Erstellt wurde die Risikoanalyse von Prof. Dr. Dipl.-Ing. Hans Albrecht Schmid, Fachbereich Informatik an der Fachhochschule Konstanz, basierend auf den Schlichtungsvortrag und in Zusammenarbeit mit Dr. Jakob Sierig. Lesen Sie hier.

Die Ergebnisse dieser Risikoanalyse sollte auch die S21-Projektpartner von Stadt, Land und Region hellhörig machen, die laut StZ (hier) wegen der Ergebnisse der Schweizer Prüfer Ernst Basler + Partner  im KPMG-Gutachten kurzfristig eine Sondersitzung des Lenkungskreises beantragt haben. Im KPMG-Gutachten wurden die Anyhdrit-Risiken für die einzelnen Tunnel betrachtet. Wir haben mehrfach darüber berichtet, zuletzt im Beitrag über den aktuellen Tunnelvortrieb für Stuttgart 21 Anfang Dezember 2016. KMPG und Ernst Basler + Partner stellten „ein großes Risiko für die Betriebstauglichkeit“ der vier S21-Tunnel im Anhydrit fest.

Die Gutachter von KPMG identifizierten innerhalb der S21-Tunnels kritische Strecken im Anhydrit, insbesondere in der Übergangszone und wenn der Anhydritspiegel den Tunnelquerschnitt schneidet. Auch im KPMG-Gutachten wurde als zusätzliche Referenz die Schadenshäufigkeit bei vergleichbaren Tunneln hinzugezogen. So heißt es im Gutachten: „Sieben der genannten Tunnel befinden sich geologisch in einer mit den S21-Tunneln vergleichbaren Situation (Anhydritspiegel im Bereich des Tunnels); bei fünf davon traten Hebungen auf, bei vieren auch relevante Schäden. Auch ohne weiterführende Analyse der jeweils relevanten Gesamtlängen der kritischen Bereich in diesen Tunnels ist dies nach unserer Auffassung ein klares Indiz für das Vorhandensein von Hebungsrisiken bei einem Tunnel, welcher den Anhydritspiegel anschneidet.“

Die Risikoanalyse von Prof. Schmid und Dr. Jakob Sierig betrachtet das Risiko unabhängig von der Gesamtzahl der kritischen Tunnelmeter pro Tunnel und ermittelt damit noch deutlich höhere Eintrittswahrscheinlichkeiten von Bauproblemen und Bauschäden von Stuttgart 21-Tunnels als die KPMG-Gutachter. Grundlage der Risikoanalyse von Schmid/Sierig sind die Bauprobleme und Betriebsschäden, die im Süddeutschen und Schweizer Raum bei seit 1970 gebauten Tunneln aufgetreten sind. Dabei wird auch der in den fünfziger Jahren fertiggestellte Wagenburgtunnel miteinbezogen. Laut der Risikoanalyse sind bei 5 von 8, d.h. bei 62,5% der Tunnels im Anhydrit, „Bauprobleme aufgetreten, welche Zusatzmaßnahmen wie z.B. dickere Querschnitte, Erstellung von Ankern, Einbau von Knautschzonen o.ä. erforderlich machten und woraus erhebliche Zusatzkosten und zeitliche Verzögerungen resultierten.“ In der Risikoanalyse wird auch das Risiko für Bauprobleme und Bauschäden für den gesamten unterirdische Bahnknoten von Stuttgart 21 mit den vier zweiröhrigen Zufahrtstunneln untersucht. Denn so wird im Papier argumentiert, Stuttgart 21 ist „ist ganz oder teilweise funktionsunfähig, wenn mindestens einer seiner Zufahrtstunnels funktionsunfähig ist“. Die Risikoanalyse kommt zu Ergebnissen, die wir wegen der Deutlichkeit zitieren möchten:

  • Das Risiko, dass Bauprobleme in einem einzigen Zufahrtstunnel (Bau kann nicht wie geplant durchgeführt werden. Daraus resultieren Zusatzkosten und zeitliche Verzögerungen.) auftreten, beträgt 62,5%.
  • Das Risiko, dass Betriebsschäden in einem einzigen Zufahrtstunnel (Schäden, welche eine Reparatur oder Sanierung des Tunnels bedingen. Mit Vollsperrung oder Teilsperrung für längere Zeit verbunden.) in einem Zeitraum von 24 Jahren auftreten, beträgt 50%.
  • Das Risiko für S21 bzgl. des Auftretens von Bauproblemen in mindestens einem der Zufahrtstunnels (Bau kann nicht wie geplant durchgeführt werden. Daraus resultierende Zusatzkosten und zeitliche Verzögerung.) beträgt 98%.
  • Das Risiko für S21 bzgl. Betriebsschäden bei den Zufahrtstunnels (Schäden, welche eine Reparatur oder Sanierung des Tunnels bedingen. Mit Vollsperrung oder Teilsperrung für längere Zeit verbunden.) innerhalb von 24 Jahren beträgt 94%.
  • Das bedeutet dass bei den S21 Zufahrtstunnels mit einer 98% Wahrscheinlichkeit Bauprobleme auftreten, die erhebliche Zusatzkosten und zeitliche Verzögerungen beim Bau zur Folge haben, und dass mit einer 94% Wahrscheinlichkeit in einem Zeitraum von 24 Jahren Betriebsschäden auftreten, welche eine Reparatur oder Sanierung mindestens eines Tunnels bedingen und mit einer Vollsperrung oder Teilsperrung für längere Zeit und erheblichen Zusatzkosten verbunden sind.“

Innerhalb der Risikoanalyse wurde auch wegen der geringen statistischen Anzahl von Vergleichstunnel eine Intervallrechnung (Konfidenzanalyse) gemacht. Damit sollte die Frage behandelt werden, ob das Bauschadenrisiko in Wirklichkeit nicht viel kleiner ist und nur zufällig 5 Bauprobleme bei den 8 Stichproben dabei waren. Die Ergebnisse dieser statistischen Absicherung des Bauproblem- und Betriebsschadenrisikos lauten wie folgt:

  • „Das Risiko für S21 bzgl. Bauproblemen ist mit einer 90%-en Sicherheit größer als 76%.
  • Das Risiko für S21 bzgl. Betriebsschäden ist mit einer 90%-en Sicherheit größer als 72%“.

Die Autoren folgern daraus: „Es scheint schon mehr oder weniger grobfahrlässig, bei einem praktisch sicheren Risiko von über 76% für Bauprobleme und bzw. von über 72% für Betriebsschäden in den Zufahrtstunnels das Projekt S21 durchführen zu wollen.
Besonders, da es mit K21 eine Alternative gibt, welche die problematischen Zufahrtstunnels nicht benötigt.“

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