Nachrichtlich an Bundesrechnungshof Bonn, Aufsichtsräte der Deutschen Bahn AG, Bahnvorstand Dr. Grube und Dr. Kefer, Ministerium für Verkehr und Infrastruktur, z.Hd. Herrn Minister Hermann, Herrn Oberbürgermeister Fritz Kuhn, Regierungspräsidium Stuttgart, Ref. 34, Kommunikationsbüro Stuttgart-21, Presseverteiler
Betr.: Bauvorhaben Stuttgart21 / Gesamtkosten
Sehr geehrter Herr Leger,
der Bundesrechnungshof hat kürzlich das Ergebnis seiner Kosten-Überprüfung des Vorhabens Stuttgart21 mitgeteilt und kommt dabei zum Schluss, die Gesamtkosten des Vorhabens könnten bis 10 Milliarden € betragen (s. STZ v. 6.7.2016, S. 19 „S21 könnte zehn Milliarden Euro kosten“). Zum gleichen Ergebnis ist auch das Verkehrs-Beratungsunternehmen Vieregg & Rössler/München in einem Gutachten v. Dez. 2015 gekommen (s. STZ v. 17.12.2015, S. 19 „S21 kostet knapp zehn Milliarden“); der bekannte Architekt Prof. Roland Ostertag, jahrelanger Vorsitzender der Bundes-Architektenkammer, sieht gar unter Berücksichtigung des bereits eingetretenen und noch zu erwartenden weiteren Bauzeitverzugs Gesamtkosten bis zu 14,5 Milliarden € als wahrscheinlich an.
Die DB PSU hat alle diese Aussagen anerkannter Fachleute als „haltlose Spekulationen“ zurückgewiesen und beharrt darauf, das Vorhaben „Stuttgart21 bleibe selbst dann innerhalb des Finanzierungsrahmens von 6,526 Milliarden €, wenn alle auch neu identifizierten Kostenrisiken einträten“, s. Pressemitteilung 34/2016 der DB PSU v. 6.7.2016.
Erhebliche Zweifel an der Belastbarkeit dieser Kostenaussage der DB zu Stuttgart21 ergeben sich bei einem Kostenvergleich mit dem kürzlich fertiggestellten Gotthard-Basistunnel. Dieser 57 km lange Zwei-Röhren-Tunnel hat nach Angabe des Direktors des Schweizer Bundesamts für Verkehr Peter Füglistaler insgesamt 14 Milliarden CHF gekostet (STZ v. 14.7.2016 „Schweiz mahnt zu Tempo bei der Gäubahn“); das sind 12,8 Milliarden € beim gegenwärtigen Umrechnungskurs 1,09 CHF/€.
Bezogen auf die insgesamt 34 km Zwei-Röhren-Tunnel von Stuttgart21 (einschl. Flughafen-Tunnel) machen danach allein schon die Tunnel-Baukosten 7,65 Milliarden € aus; bereits damit ist der Finanzierungsrahmen von 6,526 Milliarden € um 1,1 Milliarden € entspr. 17 % überschritten!
Hinzu kommen dann noch die Kosten für den Tiefbahnhof, Flughafenbahnhof, Abstellbahnhof, Neckar-Brücke, Gleis-Trasse nach Wendlingen, GWM, Stadtbahn-Umlegungen, Dükerbau u.a.m., so dass von Gesamtbaukosten für Stuttgart21 von über 10 Milliarden € auszugehen ist! Die Kostenschätzungen des Bundesrechnungshofes sowie von Vieregg & Rössler und Prof. Ostertag dürften damit weit zutreffender sein als die Kostenaussage der DB mit 6,526 Milliarden €!
Sie werden dem nun entgegenhalten wollen, der Gotthard-Basistunnel sei doch mit den hiesigen Tunneln überhaupt nicht vergleichbar. Das ist sicher richtig: der Gotthard-Basistunnel verläuft auf ganzer Länge durch standfestes Gebirge und wurde von beiden Seiten vollständig kostengünstig mit Tunnelbohr-Maschinen aufgefahren, während bei den S-21-Tunneln nur im Fildertunnel eine TBM eingesetzt werden kann und rd. 80 % der Tunnel mit dem weit aufwendigeren NÖT-Verfahren hergestellt werden müssen. Die Tunnelkosten müssen gegenüber dem Gotthard-Tunnel bei Stuttgart21 also allein von daher schon höher sein!
Weiterhin gab es im Gotthard-Basistunnel weder Probleme mit Mineralwasser noch mit Anhydrit, auch nicht mit nicht standfesten Lockergesteinen oder Neckarkies-Ablagerungen wie hier beim S-21-Vorhaben; die Tunnelwände für den Gotthard-Tunnel mussten folglich nicht für hohe Quelldrücke bemessen und auch keine Sicherungsmaßnahmen gegen das Aufquellen von Anhydrit durchgeführt werden. Ebenso wenig waren vorauseilende Rohrschirme zur Sicherung der Standfestigkeit nötig, wie dies bei den S-21-Tunneln unverzichtbar ist, den Tunnelbau jedoch verteuert. Beim Gotthard-Tunnelbau mussten auch keine aufwendigen Sicherungsmaßnahmen wie Hebungsinjektionen u.a.m. durchgeführt werden, um Setzungsschäden an Gebäuden zu vermeiden, wie dies bei Stuttgart21 in hunderten von Fällen erforderlich wird und hohe zusätzliche Kosten verursacht, die beim Bau des Gotthard-Tunnels nicht angefallen sind.
Wie also erklärt die DB PSU die offensichtlich in anbetracht dieser Besonderheiten deutlich zu niedrig angesetzten Tunnelbaukosten für das Vorhaben Stuttgart21?
Die vorstehenden Überlegungen veranlassen uns zu folgenden Fragen: Welche Gesamtkosten, gegliedert nach Einzelabschnitten, sieht die DB PSU für die Fertigstellung des Vorhabens Stuttgart21 einschließlich Planung und Inbetriebsetzung vor für:
- Tiefbahnhof S-21 samt Technik-Gebäude, Abbruch Bestand, Umbau Gleisvorfeld, Fußgänger-Überwege und allen Maßnahmen zur Sicherstellung des Bahnbetriebes während der Bauzeit
- Grundwasser-Management Bau, Betrieb und Rückbau
- Umlegung Stadtbahn-Tunnel Heilbronner Straße (Anteil der DB gem. KV)
- Umlegung Stadtbahn-Tunnel und Haltestelle Staatsgalerie
- Umlegen der Hauptabwassersammler Nesenbachkanal, Hauptsammler West, Cannstatter Kanal, Lautenschlager-Kanal
- Schwallbauwerke Nord und Süd einschl. gesamter Anlagentechnik
- Entrauchungsbauwerke Heilbronner Straße und Killesberg einschl. gesamter Anlagentechnik
- Fildertunnel PFA 1.2, mit Wendekaverne u. Rettungszufahrt Süd
- Filderabschnitt mit Flughafen-und Terminal-Bahnhof PFA 1.3a + b einschl. Rohrer Kurve
- Fildertrasse nach Wendlingen PFA 1.4 einschl. Wendlinger Kurve zweigleisig
- Tunnel Zuführung Feuerbach und Bad Cannstatt PFA 1.5, einschl. Neckarbrücke
- Tunnel Zuführung Ober-/Untertürkheim PFA 1.6a
- Abstellbahnhof Untertürkheim PFA 1.6b
Wie die DB PSU in ihrer Pressemitteilung v. 6.7.2016 angegeben hat, wurde „eine umfängliche Bestandsaufnahme im zweiten Quartal 2016 zum Abschluss gebracht“. Demnach müssen alle Kosten zum Vorhaben Stuttgart21 bei Ihnen vorliegen.
Wir erwarten zeitnah vollständige, ausführliche und nachvollziehbare Kostenangaben. Ansonsten müssen wir davon ausgehen, dass die die Gesamtkosten des Vorhabens Stuttgart21 den angegebenen Finanzierungsrahmen von 6,526 Milliarden € weit übersteigen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dipl.-Ing. Hans Heydemann, Prof. Dr. jur. Dipl.-Ing. Uwe Dreiss, Dipl.Physiker Wolfgang Kuebart