Nachdem bereits am Wochenende nach Berichten der Stuttgarter Zeitung (StZ) und der FAZ (hier) sowohl das Land BW als auch der Bund die Übernahme von Mehrkosten bei Stuttgart erneut abgelehnt haben, steigt die Nervosität im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG.
Die beiden Stuttgarter Zeitungen (hier ) berichtet heute, dass die DB-Aufsichtsräte angesichts der neuen Zahlen und dem bereits bis auf 15 Millionen Euro ausgeschöpfen Baubudget alarmiert und maximal verärgert sind. Zuletzt wurde den Aufsichtsräten noch vom Bahnvorstand ein Puffer von 120 Millionen Euro präsentiert. Die StZ schreibt: „Uns wurde dabei immer erzählt, dass der Finanzrahmen und der Eröffnungstermin eingehalten werden“, sagt ein Aufsichtsrat. Das sei auch in den jüngsten Sitzungen der Fall gewesen, als diverse Nachfragen wegen der Kosten gestellt worden seien. Das Gesamtbudget liegt zwar bei 6,526 Milliarden, freigegeben wurden vom Aufsichtsrat 2013 aber nur 5,987 Milliarden Euro…. „Die Wahrscheinlichkeit, dass der gesamte Finanzrahmen nicht eingehalten werden kann, ist sehr groß“, weiß der Aufsichtsrat um die Brisanz. Die Frage sein nun, wie man überhaupt weiter finanzieren könne, und ob der Vorstand 2013 Tatsachen falsch bewertet oder dem Aufsichtsrat vorenthalten habe…Das Vertrauen in die Fähigkeit des Vorstandes, das aus dem Ruder gelaufene Projekt umzusteuern, schwindet.“
Auch das Vertrauen von Seiten der mitfinanzierenden Projektpartner der Bahn bei Stuttgart 21 , die Stadt Stuttgart, das Land BW und die Region, ist am Schwinden. Heute wurden sie vom Vorstand der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH laut Recherche der beiden Stuttgarter Zeitungen (hier) mit einer 7-zeiligen (!) Mail und der Information, dass der Zeit- und Kostenrahmen gehalten werden kann, abgespeist. Die StZ schreibt: „Die Art und Weise, wie Land, Stadt und Region Stuttgart und der Bund von der Bahn abgespeist werden, scheint angesichts der dramatischen Entwicklung beispiellos. Noch immer herrscht dort Sprachlosigkeit. Die DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH halte weiterhin am Termin für die Inbetriebnahme im Dezember 2021 fest, erfahren die Mitzahler in dem elektronischen Brief. Das Projekt habe an drei Stellen Aufholbedarf: beim Hauptbahnhof zwei, beim Flughafenbahnhof und im Feuerbacher Tunnel je ein Jahr, heißt es unter Punkt 3 knapp. Das war es dann schon an Neuigkeiten. „Das Projekt“, heißt es unter Ziffer 4, „wird regelmäßig über den Erfolg von Aufholmaßnahmen berichten.“ 2018 sei eine weitere vertiefte Bestandsaufnahme geplant. Ein Teil dieser sei „eine finale Abschätzung der voraussichtlichen Gesamtkosten und des Inbetriebnahmetermins“.“
Die Bahn scheint die Brisanz der neuen Zahlen in der Öffentlichkeit zu verdrängen und die Konsequenzen auf 2018, wenn Mehrkosten endgültig gerichtlich eingeklagt werden müssen, verschieben zu wollen.
Das Medienecho ist jedoch einhellig. Die FAZ (hier) verweist auf die nur noch vorhandenen 15 Millionen Euro und auf die bisherige Taktik der Bahn, die Schuld für Kostensteigerungen bei anderen zu suchen. So schreibt die FAZ: „Immer wenn es um Kosten und Termine für das Infrastrukturprojekt Stuttgart 21 geht, verstecken sich die Verantwortlichen der Bahn hinter bürokratischen Wortungetümen. Es gebe „extern induzierte Risiken“ und einen „Gegensteuerungsbedarf“ in Höhe von 524 Millionen Euro. Im Klartext: Das für die Verkehrsinfrastruktur des Wirtschaftslandes Baden-Württemberg so bedeutsame Projekt wird teurer, der Bahnhof kann wahrscheinlich erst Ende 2022 oder Anfang 2023 in Betrieb gehen, und die Schuld hierfür hat nicht die Bahn, sondern „Externe“, die Artenschützer, die feindseligen Politiker in Stuttgart oder die schwierigen geologischen Gegebenheiten der Stadt…“
NTV (hier) sieht Stuttgart 21 vor dem „Finanz-Kollaps„. Selbst SWR-Experte Harald Kirchner stellt heute im Landesschau-Interview (hier) die Frage „Wie glaubwürdig sind die Schätzungen noch?“. Er hält angesichts der erneuten Kostenexplosion und den selbst von den Befürwortern des Projekts geforderen noch nicht finanzierten Nachbesserungen an der Leistungsfähigkeit “ Stuttgart 21 weder finanziell noch betrieblich ausdiskutiert„.
Von Seiten der S21-Kritiker sind die Reaktionen eindeutig. Sie fordern nach Berichten der beiden Stuttgarter Zeitungen (hier) maximale Aufklärung. Der VCD fordert Grundsatzdiskussion zu Stuttgart 21 und sieht offene Fragen bei Sicherheit, Leistungsfähigkeit, Kosten und Zeitplan. Das Aktionsbündnis sieht in einer heute herausgegebenen Presseerklärung „Stuttgart 21 erneut in der Krise“ und weist darauf hin, dass sich eine Arbeitsgruppe aus Architekten, Bahnexperten, Denkmalschützern und Ingenieuren seit Monaten mit der Frage befasst, wie auch bei gegebener Bauentwicklung ein Ausstieg möglich wäre.