Netzwerke laden OB Kuhn am 17.01.2014 ein sich über die Lage der betroffenen Eigentümer zu informieren

Dass Oberbürgermeister nicht über alles informiert sein können, wo „der Schuh“ ihrer Bürger drückt, zeigte die Antwort des Stuttgarter OB Fritz Kuhn auf eine Facebook-Anfrage einer besorgten Bürgerin nach den Modalitäten der Schadensregulierung im Zuge des Tunnelbaus von Stuttgart 21. Die Netzwerke haben sich daher zur Richtigstellung einiger Sachverhalte  in einem ausführlichen Brief an den OB gewandt  und ihn zur Informationsveranstaltung am 17.01.2014 ins Rathaus eingeladen:

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Kuhn,

Sie hatten auf die Anfrage von Frau Contra in Facebook zu den Modalitäten der Schadens-regulierung im Zuge von Stuttgart 21 geantwortet. Als Vertreter der Netzwerke 21, einem Zusammenschluss der vom Tunnelbau betroffenen Eigentümer und Anwohner in den Stadtteilen Kernerviertel, Gänsheide, Killesberg, Gablenberg, Wangen und Untertürk- heim, möchten wir noch einige Aspekte richtigstellen bzw. ergänzen.

Die folgenden Darlegungen beziehen sich nicht auf eine grundsätzliche Diskussion über die Sinnhaftigkeit des Projekts S21, sondern auf die konkreten Beeinträchtigungen, die wir Ei­gentümer/innen durch die Untertunnelung nach momentanem Stand quasi als „Sonder-opfer“ dauerhaft hinnehmen sollen. Weitergehende Ausführungen zum Thema Ent- schädigungen, wie z.B. Bodenwert oder Bodenrichtwert, Einschränkungen in der Nutzung unserer Grund­stücke etc., lassen wir hier außen vor. Wir sind jedoch gerne bereit auch diese Themen mit Ihnen und dem „Team-Kuhn“ zu erörtern. Der besseren Lesbarkeit halber fügen wir unter Ihre Antwort an Frau Contra (kursiv) unsere Darlegungen bei.

I. Beweissicherung und Beweissicherungsgrenzen

„Fritz Kuhn Stuttgart1: Hallo Frau Contra, hier die Antwort der Experten:
Unterfahrene Gebäude (Alte Bahndirektion, jedes vom EBA definierte Wohnhaus) werden, sofern sie innerhalb der planfestgestellten Beweissicherungsgrenzen liegen, grundsätzlich von einem öffentlich vereidigten Sachverständigen vor Beginn der Maßnahmen hinsichtlich des aktuellen Zustands begutachtet (Stichwort Vorschäden, aktuell auch Thema bei der Lan­deswasserversorgung).“ Im Rahmen der Planfeststellung hat das EBA gegenüber der Vorhabensträgerin Deutsche Bahn AG ein Beweissicherungs-verfahren festgeschrieben. Das heißt, die Deutsche Bahn AG ist als Bauherrin dazu verpflichtet, für bestimmte, definierte Straßen, Gleisanlagen, Tun­nel, Brücken sowie öffentliche und private Gebäude eine Beweissicherung zu veranlassen und den baulichen Zustand der Anlagen zu dokumentieren. Bevor die Bauarbeiten beginnen, müssen Gutachter im Interesse der Eigentümer mit der Beweissicherung beauftragt werden, um eventuell eintretende und auf das Vorhaben zurückzuführende Schäden ermitteln zu können. Die Deutsche Bahn AG ist dazu verpflichtet, das Dokumentationsverfahren gemäß dem jeweiligen Planfeststellungsbeschluss rechtzeitig einzuleiten.

Unsere Darlegungen:
Grundsätzlich ist diese Darstellung im Großen und Ganzen richtig, allerdings an einigen Stel­len in der Auslegung nicht korrekt. Das Beweissicherungsverfahren dient nicht allein dem Schutz der Eigentümer, sondern ist vielmehr auch ein Instrument Schäden seitens der Bahn bzw. der Firmen gegenüber den Eigentümern abzuweisen. So werden Sie bei den untertun­nelten Gebäuden, die teilweise mehr als hundert Jahre alt sind, kein einziges Gebäude fin­den, welches nicht leichte, bislang unproblematische Schäden (Putzrisse, bröckelnder Sand­stein etc.) aufweist. Dass diese Schäden durch die auftretenden Erschütt-erungsimmissionen immens vergrößert werden können, dürfte einleuchten. Nun wird es aber nahezu unmöglich sein, dies den Firmen bzw. der Bahn nachzuweisen. Dazu müsste ein solch aufwendiges Verfahren unter Einbeziehung von Sachverständigen, die von den Eigentümern beauftragt (von der Bahn gezahlt oder vom Steuerzahler wie bei dem Gebäude der Landeswasserver­sorgung) durchgeführt werden. Sämtliche Altschäden (Risse) müssten mit sogenannten Gipsmarken versehen, regelmäßig kontrolliert und mit den Arbeiten abgeglichen werden. Es gab durchaus Eigentümer, die die Setzung von Gipsmarken forderten. Das mit der Beweissi­cherung beauftragte Ingenieurbüro Spang hat diese Zusatzarbeit jedoch nicht in ihrem Auf­tragsumfang. Es ist auch nicht korrekt, dass die Beweissicherung frühzeitig vor Baubeginn in allen Fällen durchgeführt wird. Beispielsweise wurde in der Nähterstraße in Stuttgart-Wan­gen vor dem offiziellen Baustart des Zwischenangriffs zumindest bei einem in die Beweis-si­cherungsgrenzen fallenden Gebäude noch keine Beweissicherung durchgeführt. Zudem ha­ben viele Eigentümer selbst nach Monaten nach der Beweisaufnahme noch keine Dokumen­tation der Beweissicherung erhalten. Wie soll da irgendetwas nachgewiesen werden?

Ein Letztes zu den Beweissicherungsgrenzen, die nach Planfeststellungsbeschluss sehr schematisch mit einem Korridor rechts und links der Tunnelröhre gezogen wurden. Der Di­plom Geologe Dr. Behmel hat bei einer Veranstaltung der Netzwerke am 15. März 2013 in Wangen explizit darauf verwiesen, dass sich eine sinnvolle Beweissicherungsgrenze eigent­lich an den geologischen Verhältnissen, wie z.B. bindiger Boden oder lockeres Geröll, orien­tieren sollte. Der Beweis, dass dies notwendig wäre, zeigen die aktuellen Folgen der Arbei­ten am Rettungsstollen Benzstraße. Dort wurde die schematische Beweissicherungsgrenze auf dem Gelände der Daimler AG (Werksgelände Untertürkheim) gezogen, das angrenzende Wohngebäude fällt aber nicht mehr in diese Grenze. Dennoch sind im Zuge der Rammarbeiten in der Gaggenauerstraße (Rettungsstollen Benzstraße/ Untertürkheim) massive Schäden aufgetreten.

Darüber hinaus sind viele untertunnelte Wohngebäude, wie z.B. auf der Gänsheide, nicht in die Beweissicherung mitaufgenommen. Nach Ansicht der Bahn sind wegen der Unter-fah­rungstiefe trotz des vorhandenen Anhydrits keine Schäden zu erwarten. Dabei wurde nicht berücksichtigt, dass sich beispielsweise im Zuge des Baus des Heslacher-Tunnels noch 4 Jahre danach das Gelände oberhalb des Tunnelfirstes auch in einer Höhe von 60 Meter um 2 bis 3 cm angehoben hatte.

II. Gesetzliche Bestimmungen

„Fritz Kuhn Stuttgart1: „Sollten infolge der Bauarbeiten vom Eigentümer Schäden festgestellt oder vermutet wer­den, wird die Bahn nach erfolgter Meldung erneut den Gutachter auffordern, die Schadens­ursache zu beurteilen, um mit dem Eigentümer ein Konzept zur Beseitigung / Ausgleich ver­einbaren zu können. Dieser wird dann anhand der Dokumentation des Gebäudezustands und des Bauablaufs beurteilen, inwieweit die Schäden auf die Baumaßnahme zurückzufüh­ren sind. Ist dies der Fall, findet eine Ent- schädigung nach den gesetzlichen Vorschriften in Abstimmung mit dem Eigentümer statt. Grundsätzlich ist der jeweilige Verursacher nach den gesetzlichen Regelungen (hier ggf. die Bahn als Vorhabensträgerin oder ihr beauftragtes Unternehmen) schadensersatzpflichtig.“

Unsere Darlegungen:
Der Hinweis im Entwurf der DB Netz AG zu der Beweissicherung, eine Haftung erfolge „im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen“, bedeutet, dass der Geschädigte – d.h. der Grundstückseigentümer – ggf. der DB Netz AG bzw. der bauenden Firma ein Verschulden nachweisen muss. Dies wurde bei der Informationsveranstaltung der DB für die Anwohner des Kernerviertels vom 6.November 2013 so auch von einem Rechtsanwalt der Bahn, Herrn Dr. Schütz, geäußert bzw. ausdrücklich bestätigt. Dies ist für die betroffenen Eigentümer nicht hinnehmbar. Es ist die DB Netz AG, die durch ihre Bauarbeiten in die bestehende Struktur eingreift, der auch alle technischen Details und Messergebnisse zu Verfügung ste­hen. Sie ist im befürchteten Fall von Gebäudeschäden auch die naheliegende Verursacherin. Daher fordern wir von Seiten der Netzwerke eine Beweislastumkehr. Die Bahn soll im Scha­densfall nachweisen, dass sie diesen nicht zu vertreten hat. Dass es für Eigentümer fast un­möglich ist, an diese Protokolle zu gelangen und damit einen Schaden nachzuweisen, zeigt der aktuelle Fall in der Gaggenauerstraße (s.o.). Dort sind im Zusam-menhang mit den Bau­maßnahmen (Rettungsstollen Benzstraße) durch die Rammarbeiten im August dieses Jah­res erhebliche Schäden an einem Gebäude entstanden. Seit Wochen versucht der Eigentü­mer mit Unterstützung der Netzwerke an die in den Nebenbestim-mungen zum PFA 1.6a (Mai 2007) vom Eisenbahnbundesamt (Eba) festgelegten Erschüt-terungsprotokolle zu gelangen. Die Mitarbeiter des Eba verweisen jedoch entweder darauf, dass ihnen die Protokolle nicht vorliegen oder berufen sich auf angebliche Urheberrechte der mit den Immissionsmessungen beauftragten Firma bzw. der Bahn. Auch das Baubüro der Bahn hat trotz mehrfacher Nachfrage nicht reagiert bzw. keine Einsicht in die Protokolle gewährt.

III. Schadensregulierung

„Fritz Kuhn Stuttgart1: „Nach unserer Kenntnis hat die Bahn für sich und ihre Auftragnehmer für solche Schadens­fälle eine Bauhaftpflichtversicherung abgeschlossen, die zunächst gegenüber dem Geschä­digten eintritt. Weitere Details könnte ggf. nur die Bahn erteilen.“

Unsere Darlegungen:
Auf der Erörterung im Februar 2012 zur 2. Planänderung für den Fildertunnel erhielt ein betroffener Eigentümer auf Nachfrage von einem Bahnvertreter die Auskunft, dass die DB keinerlei Rücklagen für die Schadensregulierung bereit hält. Somit ist dieser Hinweis nach unserem Kenntnisstand nicht zutreffend.

Was wir noch erwähnen möchten, sind auftretende Schäden und Immissionsbelastungen durch die Nutzung der Tunnelanlagen (Beispiel Untertürkheim: Untertunnelungstiefe teilwei­se 6 Meter im ehemaligen Neckarbett). Hierzu die Aussage eines Bahnvertreters auf die Fra­ge, ob denn die Erschütterungsimmissionen nicht reduziert werden können: „Gebaut wird nicht, was technisch möglich ist, sondern was den Anforderungen entspricht.“ Problematisch ist diese Aussage auch deshalb, dass sich die Planfeststellungen nicht auf die technischen und gesetzlichen Vorgaben von 2013/14 beziehen, sondern in den Planfeststellungen Vor­gaben von 1999 etc. aufgeführt werden, auf deren Einhaltung sich dann die Bahn beziehen kann.

Gerne stehen wir auch für ein persönliches Gespräch zur Verfügung und wir laden Sie und das „Team-Kuhn“ freundlichst ein zu der gemeinsamen Veranstaltung der Gemeinderats­fraktion „Bündnis 90/Die Grünen“ und den Netzwerken 21 am 17.01.2014 um 19:00 Uhr im Stuttgarter Rathaus. Dort werden genau diese Themen mit Juristen und weiteren Sach­verständigen angesprochen. Über Ihr Kommen würden wir uns freuen.

Mit freundlichen Grüßen

 

 

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