Veränderungssperren in den Gestattungsverträgen bei S 21: Einschränkungen für Bauvorhaben – Willkür oder Logik?

Im Gegensatz zu den Münchner Verträgen beim U-Bahnbau sehen die von der Bahn angebotenen Gestattungsverträge bei Stuttgart 21 eine Veränderungssperre für die unterfahrenen Grundstücke vor. Ein Eigentümer kann danach nur mit Zustimmung der Bahn bauliche Veränderungen auf seinem Grundstück oder Wohneigentum vornehmen. Die Bahn hat mit dieser Regelung die Sicherheit ihrer Tunnel im Blick.

Dies ist für viele Eigentümer nicht nachvollziehbar, da der Konzern umgekehrt in den Planfeststellungsverfahren immer wieder argumentiert hatte, dass beim Tunnelbau mit einer Überdeckung von mehr 30 Metern die darüberliegenden Gebäude nicht betroffen seien. Ulrich Hangleiter, Sprecher des Netzwerks Killesberg und Umgebung e.V., hat den dortigen Verhandlungstand wegen der Veränderungssperre in einem Beitrag zusammengefasst, der sicherlich auch für andere vom Tunnelbau betroffene Wohngebiete in Stuttgart von Interesse ist:

„Für ca. 800 Grundstücke im Stuttgarter Norden muss die DB Unterfahrungsrechte für S 21 von den Eigentümern erwerben. Dies erfolgt mit Gestattungsverträgen. In den Gestattungsverträgen ist auch geregelt, ob Bauvorhaben der Eigentümer auf ihren Grundstücken infolge der Veränderungssperre ggf. eingeschränkt werden. Der §1 enthält dazu zwei Absätze, die diese Regelung sicherstellen sollen, nämlich die Absätze:

(Abs. 3) Die Eigentümerin verpflichtet sich, auf den oben genannten Grundstücken alle Handlungen zu unterlassen, die den Bau, den Bestand, den Betrieb und die Unterhaltung des Eisenbahntunnels beeinträchtigen oder gefährden können.

(Abs. 8) Bei Bauvorhaben auf den Grundstücken beteiligt die Eigentümerin die DB Netz AG. Die Zustimmung der DB Netz AG darf nur versagt werden, wenn die Sicherheit der Tunnelanlage beeinträchtigt wird.

In der jüngeren Vergangenheit ist es einzelnen Eigentümern gelungen, diese Vorbehalte aus den Verträgen zu streichen. Das ist gut so. Unter den Mitgliedern des Netzwerks Killesberg gibt es aber unterschiedliche Erfahrungen damit, so dass sie bekannt werden sollen.

Entlang einer Straße mit einer Überdeckung von 42 m über dem Tunnel haben die meisten Eigentümer Verträge bekommen, in denen die Vorbehalte (s.o.) geblieben sind. Es gibt dort aber auch zwei Beispiele, wo die künftige Nutzung durch nicht mehr eingeschränkt ist. Die Bahn schrieb dazu an einen der Eigentümer: „Auf Grund der hohen Überdeckung können wir in diesem Fall § 1 Nr. 3 und Nr. 8 im Gestattungsvertrag streichen. Die Eintragungsbewilligung wäre entsprechend anzupassen…“ Auch „weiter oben“, wo die Überdeckung bei 80m liegt, wurde einem Eigentümer mitgeteilt, dass dem künftigen Bau eines neuen Hauses mit zwei Untergeschossen inkl. Tiefgarage nichts im Wege steht. Bei weiteren vergleichbaren Vorhaben von Eigentümern prüft die Bahn noch, wie die Verträge angepasst werden.

Eine ganz andere Erfahrung hat eine Familie gemacht, deren Grundstück mehr als 70 m
Überdeckung über Tunnel hat. Sie hatte bei der Stadt ein Baugesuch für den Bau einer Garage eingereicht. Die DB hat der Familie darauf hin den Entwurf einer Vereinbarung vorgelegt, nach der diese unterschreiben sollte, sämtliche möglicherweise mit ihren Bauvorhaben verbundenen Risiken für den Tunnelbau der DB und auch diejenigen Risiken zu übernehmen, die durch Bau und Betrieb des Tunnels für ihre Vorhaben entstehen könnten.

Eine rechtsgutachterliche Stellungnahme, die das Netzwerk dazu bei Rechtsanwalt Dr. Armin Wirsing in Auftrag gegeben hatte, mündet in das Fazit: „In diesem Vorgehen (der Bahn) liegt offensichtlich der Versuch, die Zwangslage der Eigentümer, die ihre Bauvorhaben realisieren wollen, dazu zu nutzen, nicht nur eine Zustimmung zum Bau des Tunnels in Form einer Besitzüberlassung, sondern auch eine umfassende – und für die Eigentümer nicht überschaubare – Übernahme von Risiken aus dem Bau des Tunnels für Ihre Bauvorhaben zu übernehmen. Damit will die DB Netz AG unter Ausnutzung der Zwangslage der Eigentümer Vorteile erlangen, die offensichtlich in einem auffälligen Missverhältnis zu ihrer eigenen Leistung stehen. Der Vereinbarungsentwurf ist daher gem. § 138 Abs. 2 BGB sittenwidrig.“

Die Bahn selbst hat die „Schallgrenze“ für die Unbedenklichkeit inzwischen bei ca. 40 m
Überdeckung definiert: „in der Regel“ heißt es. Sollten bei den Entscheidungen der Bahn
neben Art und Umfang des individuellen Bauvorhabens sowie der Mächtigkeit der Überdeckung auch Kriterien wie die geologischen Verhältnisse eine Rolle spielen, wäre dies bemerkenswert. Andernfalls aber ist man geneigt, von willkürlichen Entscheidungen zu sprechen.“

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