Planfeststellung und Wirklichkeit: Stadtbahnchaos durch Stuttgart 21

Um den Tiefbahnhof Platz zu machen, muss die Stadtbahnhaltestelle Staatsgalerie einschließlich der Zulaufstrecken verlegt werden.  Die am Randes des Kernerviertels gelegene Haltestelle ist mit fünf Stadtbahnlinien und den Abzweigungen der Hauptrichtungen zum Charlottenplatz und Hauptbahnhof ein neuralgischer Punkt des Stuttgarter Stadtbahnnetzes. Die Bauarbeiten für den ersten Abschnitt entlang der B14 sollen bereits ab dem 2. Quartal 2014 starten. Noch in der Erläuterung zum Planfeststellungsbeschluss PFA 1.1. hieß es auf Seite 241 :

„Grundsätzlich gehen die Planungen davon aus, dass während der gesamten Bauzeit der Stadtbahnverkehr auf allen betroffenen Linien aufrechterhalten wird. Lediglich in der letzten der vier Bauphasen ist eine Betriebspause von rd. 2 Wochen für die Linien 9 und 14 auf dem Gleis 4 vom Hauptbahnhof zur bestehenden Stadtbahnhaltestelle vorgesehen. Die Planungen wurden in enger Abstimmung mit dem Tiefbauamt der Landeshauptstadt Stuttgart und der Stuttgarter Straßenbahnen AG ausgearbeitet. Der Bauablauf soll so abgestimmt werden, dass die 14-tägige Betriebspause in einer Ferienzeit liegt. Langsamfahrstrecken und baubedingte Behinderungen in den umzubauenden Streckenabschnitten werden unvermeidlich sein, aber auf das geringst mögliche Maß reduziert. Erforderliche Arbeiten in oder an den bestehenden Tunnelblöcken werden in den betriebsfreien Zeiten während der Nacht und an Wochenenden ausgeführt. Arbeiten außerhalb der Regelarbeitszeit, wie Nachtarbeit und Arbeiten an Sonn- und Feiertagen sind deshalb zwingend erforderlich….

Jetzt zeigt sich, dass diese Zusage nicht im Mindesten haltbar ist. Dipl.Ing. Hans Heydemann, Mitglied der Ingenieure 22, hat sich mit den Folgen des Umbaus für den Stadtbahnverkehr beschäftigt. Lesen Sie hier seine Anfrage an die Stadtverwaltung:

STADTBAHN-CHAOS durch STUTTGART 21

Seit Beginn der Umbau- und Abriss-Arbeiten zu Stuttgart21 haben wir ein S-Bahn-Chaos nach dem anderen hinnehmen müssen mit erheblichen Verspätungen, Zugausfällen, Betriebs-Einschränkungen bis hin zum völligen Zusammenbruch des S-Bahn-Verkehrs über viele Stunden. Gleiches steht ab kommenden Sommer nun auch dem bisher verlässlichen Stadtbahn-Betrieb der SSB bevor, wenn die Bauarbeiten für S-21 wie geplant weitergehen und mit der Verlegung der Haltestelle „Staatsgalerie“ als Voraussetzung für den Tiefbahnhofstrog S-21 begonnen werden soll.

Die vorgesehenen Umbaumaßnahmen der SSB-Tunnel betreffen sowohl die wichtigen Tal-Längslinien der Stadtbahn zwischen Charlottenplatz und Staatsgalerie einschließlich Umbau der Haltestelle Staatsgalerie sowie auch die der Querlinie zwischen HBF/Arnulf-Klett-Platz und Staatsgalerie. Diese sind im Antrag der DB zur 14. Planänderung im Erläuterungsbericht in Abschn. 3.13 beschrieben. Wegen dem Bau des Nesenbachdükers sind diese in getrennten Abschnitten nacheinander vorgesehen und werden zu einer längerdauernden Unterbrechung des Stadtbahn-Verkehrs in Stuttgart führen. Die Dauer der Unterbrechung ist nicht angegeben.

In der Sitzung des Umwelt- und Technikausschusses am 22.10.2013 hat der Technikvorstand der SSB, Herr Arnold, über die geplanten Bauarbeiten zur Verlegung der Stadtbahnhaltestelle Staatsgalerie als Folgemaßnahme von Stuttgart 21 berichtet. Ursprünglich hatte die SSB beabsichtigt, den Umbau unter laufendem Betrieb zu bewerkstelligen. Dies sei nun nicht mehr möglich. Jetzt wird es im ersten Bauschritt eine Stadtbahnlinien-Unterbrechung zwischen den Haltestellen Staatsgalerie und Charlottenplatz und im zweiten Bauschritt eine Unterbrechung zwischen Staatsgalerie und Hauptbahnhof geben.

Im ersten Bauschritt ab Juli 2014 bis Dezember 2016 sollen der Stadtbahntunnel in der Willy-Brandt-Straße, die neue Haltestelle Staatsgalerie und der Stadtbahntunnel im Bereich des Gebhardt-Müller-Platzes gebaut werden. Das bedeutet eine Linienunterbrechung der wichtigen Tal-Längslinien U1, U2 und U4 von 2 ½ Jahren!

Im zweiten Bauschritt von April 2017 bis Dezember 2019 müssen zwei getrennte Tunnelröhren Richtung Arnulf-Klett-Platz und eine zweigleisige Röhre Richtung Charlottenplatz angebunden werden. Das bedeutet eine Linienunterbrechung der wichtigen Querlinien U9 und U14 über den Hauptbahnhof von 2 ¾ Jahren! Die Tunnelröhren Richtung Arnulf-Klett-Platz durchschneiden das Baufeld des Nesenbachdükers. Deshalb muss dieser vor den Tunnelröhren gebaut werden. Die Bahn hat aber für die 14. PÄ noch gar keine Genehmigung!

In der Sitzung des Fahrgastbeirats des VVS am 21.11.2013 wurde von der SSB mitgeteilt, daß die Dauer der Linien-Unterbrechungen nicht vorhersehbar seien, es also auch Monate oder gar Jahre dauern könnte. Ursache dieser massiven Eingriffe in den öffentlichen Verkehr in Stuttgart seien die vielen Planänderungen der Bahn, die den ursprünglich geplanten Bauablauf verhindern.

Dass der Bau von Stuttgart 21 solche Behinderungen mit sich bringt, wurde der Bevölkerung bisher verschwiegen!

Lt. Bauplanung sind also insgesamt 5 ½ Jahre Bauzeit für die SSB-Tunnel vorgesehen, in denen erhebliche Behinderungen und Einschränkungen des Stadtbahn-Betriebes hinzunehmen sein werden – nach den bisherigen Erfahrungen ist wohl eher von 10 Jahren auszugehen.Weil bekanntlich auch der SSB-Tunnel im Bereich der Heilbronner Straße umgelegt wird, bedeutet dies nichts anderes, als dass sämtliche Stadtbahnlinien der Innenstadt durch den Bau des Tunnelbahnhofes S-21 zerschnitten werden! Es sprengt jegliche Vorstellungskraft, wie die zerstümmelten Restnetze dann während der mehrjährigen Bauzeit überhaupt noch betriebsfähig gehalten werden können! Die U1 etwa kann am Charlottenplatz gar nicht umkehren und nach S-Vaihingen wieder zurückfahren; dafür fehlen alle Voraussetzungen. Gleiches gilt für die andere Seite ab Neckartor Richtung Fellbach sowie für alle anderen Linien.

Offensichtlich haben die SSB vor, im ersten Bauschritt „Umbau SSB-Tunnel zwischen Charlottenplatz und Staatsgalerie“ alle hier verkehrenden Linien U1, U2, U4 wie die U14 über Rotebühlplatz-Berliner Platz-HBF zur Staatsgalerie umzuleiten, im zweiten Bauschritt „neue Tunnel HBF – Staatsgalerie“ dann die über den Berliner Platz verkehrenden Linien U9 und U14 über Rathaus-Charlottenplatz-Staatsgalerie zu führen.

Damit kann die SSB zwar eine Betriebseinstellung der betreffenden Linien oder Zerstückelung in „Restnetze“ vermeiden, nicht aber erhebliche Einschränkungen des Stadtbahn-Verkehrs insgesamt. Die Bündelung aller Linien jeweils auf den einen oder den anderen Ast wird nicht ohne wesentliche Ausdünnung des Fahrplanes aller Linien möglich sein, weil die Zugfolge in den betreffenden Tunnelstrecken anders nicht zu verkraften sein wird.

Weiterhin werden wichtige innerstädtische Haltestellen wie Rathaus, Charlottenplatz, Rotebühlplatz, Berliner Platz, Friedrichsbau während mehrerer Jahre gar nicht mehr oder nur noch eingeschränkt über andere Linien verbunden mit zusätzlichem Umsteigen erreichbar sein – ein unzumutbarer Zustand! Die Fahrzeiten werden sich durch diese Umlenkung erheblich verlängern. Die „Wasenlinie“ U11 wird die ganze Zeit über nicht mehr fahren können.

Hier einen Busersatzverkehr in der Innenstadt zur Überbrückung während der mehrjährigen Bauzeit einrichten zu wollen, wird – zusätzlich zu den Baustellenbedingten Verengungen der Fahrspuren und dem Baustellen-Verkehr – zu einer weiteren Überlastung der Straßen in der Innerstadt führen mit all´ seinen Auswirkungen wie Abgase, Feinstaub, Lärm, Stau.

Ein solcher Busersatzverkehr ist für die meisten Fahrgäste zu umständlich; es muß mit einem beträchtlichen Rückgang der Fahrgastzahlen für den VVS gerechnet werden. Auch hier zeigt sich ein weiteres Mal, welch´ einen Rückschritt das S-21-Vorhaben für den öffentlichen Nahverkehr in der Landeshauptstadt Stuttgart mit sich bringt.

Vor allem aber wird dies der SSB auch sehr viel Geld kosten: zum einen hohe Ausgaben für Anschaffung und Fahrbetrieb zusätzlicher Busse, zum andern aber einen erheblichen Einnahme-Ausfall bringen, weil das für die meisten SSB-Fahrgäste viel zu unbequem wird. Bleibt die Frage nach der Kostentragung der absehbaren Verluste für die SSB in Millionenhöhe. Die Bahn wird diese nicht übernehmen wollen; im Finanzierungsvertrag ist davon jedenfalls keine Rede. Also werden das die Fahrgäste – wir Bürger also – durch erhöhte Fahrpreise auch noch finanzieren müssen!

Was hat Vorstand und Aufsichtsrat der SSB nur bewogen, diesem Vorhaben S-21 zuzustimmen? Warum haben diese das alles nicht vorher bedacht? Jetzt alles auf die ständigen Planänderungen der Bahn schieben zu wollen, beweist doch nur, daß alle nur abgenickt haben, ohne über die Umsetzung und deren Folgen nachzudenken.

Und was haben sich eigentlich die Spitzen von CDUSPDFDPFWW dabei gedacht, als diese das S-21-Abenteuer beschlossen und besiegelt haben? Jetzt wird hier das ganze Ausmaß der S-21-Tragödie auch für die hunderttausende tagtäglich betroffenen Fahrgäste der SSB so richtig spürbar! Welch` ein Fortschritt, dieser Tunnelbahnhof! Wir werden wohl wieder zu Fuß durch die Stadt gehen müssen!

Hans Heydemann

Update: mittlerweile hat die GRÜNEN-Fraktion im Gemeinderat einen Anfrage an die Stadtverwaltung gestellt. Lesen Sie hier.

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